Donnerstag, August 02, 2012

Umweltschutz in China: basisdemokratisch, unbürokratisch, effektiv . - Doch nicht ganz gewaltfrei.

Auch wenn in China das Internet zensiert ist und unliebsame Nachrichten, die über den chinesischen Weibo-Dienst (eine Art Twitter, auch Mikroblog genannt) verbreitet wurden, von der Regierung schnell wieder gelöscht werden,  so lassen sich "der" Chinese und "die" Chinesin an sich dadurch nicht unbedingt daran hindern, zu kommunizieren und zu demonstrieren.

Ende Juli 2012: Bürger stürmen ein Regierungsgebäude in Qidong bei Shanghai
BürgerInnen und Staat sind umweltbewusst, auch wenn unsere Mainstream-Medien oft den gegenteiligen Eindruck vermitteln wollen oder zumindest tun: Die chinesische Regierung ist weltweit der größte Investor in erneuerbare Energien (vergleiche diesen Link) und die von umweltfeindlichen Projekten betroffene Bevölkerung demonstriert oft und auch effektiv für lokalen Umweltschutz, auch wenn ihr Risiko  um ein Vielfaches höher ist als bei uns im "freien Westen". 
  • "2011 etwa verhinderten 30.000 wütende Demonstranten den Bau eines Kohlekraftwerks in der südchinesischen Stadt Shantou.
  • In Jiaxing im Südosten des Landes protestierten im selben Jahr 10.000 gegen das verdreckte Abwasser einer Solarfirma. Das Unternehmen musste daraufhin schließen.
  • Und vergangenes Jahr musste die Stadtregierung der nordostchinesischen Hafenstadt Dalian einlenken, nachdem Zehntausende über Wochen hinweg gegen den Bau eines Petrochemiewerks auf die Straßen gegangen waren."
  • Anfang Juli 2012 hatte es tagelange Massendemonstrationen in Südwest-China in Shifag [der Ort heißt "Shifang". Der Blogger.] gegeben, auch dort ging es gegen ein Industrie-Projekt, auch dort mussten die Behörden die Pläne aufgeben.
"Nach Einschätzung der regierungsnahen Akademie der Sozialwissenschaft finden in China jährlich bist zu 180.000 unangemeldete Proteste statt – das sind fast 500 am Tag."
Quelle 

Für letzten Samstag, Ende Juli 2012, hatten SchülerInnen via Weibo (siehe oben) in der Industriestadt Qidong im Osten Chinas (bei Shanghai) eine Demonstration gegen die geplante Abwasserpipeline einer japanischen(!) Papierfabrik angekündigt, durch die täglich zigtausend Tonnen Schmutzwasser in den Fischerei(!)-Hafen geleitet werden sollten. Die Lokal-Regierung hatte das Vorhaben genehmigt.   - Tausende von Demonstrierenden (die Polizei spricht von 5000, Weibo von 100.000) versammelten sich vor einem Regierungsgebäude der Stadt, zunächst friedlich, später wurden einem Sekretär der KPCh die Kleider zerrissen, ein Regierungsbüro gestürmt, die Akten durch`s Fenster auf die Straße geworfen, ein Polizei-Auto und andere PKWs umgekippt...


Demonstrierende verprügeln Polizisten in Qidong
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Die Regierung der Stadt Qidong teilte auf ihrer Webseite mit, dass das Abwasser-Projekt der Papierfabrik gestoppt worden sei.

Historische Anmerkung: 
Traditionelle Formen des Protest in China


Schon in der Qing-Dynastie, die in China vom 17. bis ins 20. Jahrhundert 270 Jahre herrschte, gab es etablierte Formen des Widerstandes gegen die Zentralregierung. Die konfuzianische Beamtenschaft - und nur sie - hatte qua Amt die Pflicht und das Recht, gegen ungerechte Maßnahmen des Kaisers zu protestieren. 

Im 19. Jahrhundert gab es zunehmenden Protest auch gegen die Beamten selber, z.B. gegen missbräuchliche Praktiken der Steuereintreiber vor Ort, wobei die Bauern auf dem Lande dann auch nicht zimperlich vorgingen: In solchen Fällen versammelten sich manchmal Tausende notdürftig bewaffnete Bauern vor den Amtssitzen der regionalen Beamten, um ihre Beschwerde vorzubringen und sie scheuten auch nicht davor zurück, notfalls das Amtsgebäude zu demolieren und die Beamten des Kaisers tätlich anzugreifen. Berühmt ist eine Rebellion in Hubei 1842, die niedergeschlagen wurde. Die kaiserliche Regierung betrieb aber hinterher eine intensive Ursachenforschung.  (Hubei-Link wikipedia)


Auch im 20. Jahrhundert, unter Mao Zedong,
gab es in den 1950er Jahren verborgene und offene Bauern-Proteste gegen die Zentralregierung, der sich z.B. gegen die Kollektivierung der Landwirtschaft und die damit verbundene Ablieferung von Getreide in die Städte richtete. Auch damals griffen die Bauern auf diese überlieferten Formen des gewaltsamen Protestes zurück, zerstörten Amtsgebäude und ermordeten auch schon mal lokale Beamte. 

Quelle: Thoralf Klein, Geschichte Chinas, 2. Aufl. 2009 


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