Sonntag, Februar 10, 2013

AUSWEISUNG: Überschüssige, daher überflüssige oder Zuschuss-Arbeiter­bevöl­kerung



Der us-amerikanische Ökonom John Kenneth Galbraith (1908 - 2006) schrieb in 1958 seinem Buch The Affluent Society (deutsch: Gesellschaft im Überfluss, 1963), dass die amerikanische Gesellschaft im Überfluss lebe, was die Versorgung mit privaten Gütern und privater Dienstleistung betreffe, aber sehr arm sei, was die öffentliche Versorgung angehe. - Viele Haushalte besaßen schon eine eigene Wohnung, Auto, Kühlschrank, Waschmaschine, Fernsehgerät und Klimaanlage. Aber, so Galbraith, selbst in New York, dem Stolz der Nation, seien "die Schulen alt und überfüllt". Es gibt nicht genug Polizisten, Parks und Spielplätze sind mangelhaft, öffentliche Verkehrsmittel sind überfüllt, ungesund und dreckig, die morgendliche Fahrt zur Arbeit in die Stadt wird zur Qual...

Galbraith plädierte für ein Gleichgewicht zwischen der Versorgung mit privaten und mit öffentlichen Gütern und Dienstleistungen. Die Investitionen des Staates in die öffentliche Versorgung müssten beachtlich gesteigert werden: Für angemessene Schulen, Büchereien, öffentliche Erholungsmöglichkeiten, Gesundheitssysteme, Rechtsberatung... 

Das war seine Utopie.

John Kenneth Galbraith war Ökonom, Sozialkritiker, Präsidentenberater, Romancier und Diplomat, er war einer der einflussreichsten Ökonomen des 20. Jahrhunderts; und: Er war Keynesianer.


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Keynes Generation der "sozialdemokratischen" Ökonomen wurde abgelöst durch die "Ritter der freien Marktwirtschaft" wie Milton Friedmann (1912 - 2006) und anderen Wirtschaftswissenschaftlern aus der Gruppe der so genannten Chikago-Boys :

"Die Politik gab jeden Versuch auf, die Kräfte des freien Marktes in Richtung irgendwelcher gesellschaftlich erwünschter Ziele zu steuern" und beschränkte sich darauf,  "überbezahlten Betrügern" in Investmentbanken, so wie den freien Markt-Kräften, der Gewinnsucht und der Unersättlichkeit per Gesetz die gewünschten  Rahmenbedingungen zu schaffen. - Wie in den USA und China, so zunehmend auch in Europa. 
(Vgl. auch das neue Buch von Robert Skidelsky: Wie viel ist genug? Kunstmann 2013)

Was Karl Marx so beschrieb:
"Vermehrung des Kapitals vernichtet also immer dort Arbeitsplätze (relativ oder absolut), wo mittels technischer Neuerungen die Produktivität der Arbeitskraft gesteigert wird.
Längerfristig werden dann auch dort Arbeitsplätze vernichtet, wo das Kapital nicht so profitabel arbeitet. Denn über kurz oder lang zwingt der besonders profitable Kapitalist auch die anderen Kapitalisten, ihre Produktionskosten entsprechend zu senken, also vor allem ihre angewandte Arbeitskraft relativ zu reduzieren, oder pleite zu gehen, wodurch erst recht Arbeitsplätze verloren gehen. ...  Die kapitalistische Akkumulation produziert ... überschüssige, daher überflüssige oder Zuschuss-Arbeiter­bevöl­kerung.“ (K. Marx, Kapital I, MEW 23, 658)
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Das Entstehen von "überflüssiger oder Zuschuss-Arbeiter-Bevölkerung"  bezeichnet Saskia Sassen, Jahrgang 1949, Professorin für Soziologie und Wirtschaftswissenschaften an der Columbia Universität in New York, als AUSWEISUNG. In einem Interview mit C. Jakob beschreibt sie den Vorgang anschaulicher und konkreter als Marx das in seinem "Kapital" tat:

Die Ungleichheit wächst und wächst, und ab einem bestimmten Punkt ist die Veränderung so nachhaltig, dass wir es mit etwas Anderem zu tun haben: mit Ausweisung. ...
Die Grenze, die jemand überschreitet, der in Griechenland seinen Job und sein Haus verliert, ist eine neue Sorte von Grenze. Das nenne ich Ausweisung. ...
 
Was mich hier besorgt, ist etwas Neues. Es sind die Logiken der Ausweisung von Menschen aus traditionellen Ökonomien, Ausweisung von der Möglichkeit, ein Teil der neuen und alten Ordnung zu bleiben....

Nehmen wir die Zwangsversteigerungen. Die gibt es schon, seit es Hypotheken gibt. Aber heute stehen ganze Stadtteile leer. ... Wenn ich von Ausweisung spreche, dann meine ich etwa die Bewohner der 13 Millionen Häuser, die seit 2006 in den USA zwangsversteigert wurden....
Ich meine die verarmte Mittelschicht in Europa und die Milliarde Menschen, die in absoluter Armut leben. ...

Es gab im Keynesianismus Ausbeutung, Rassismus und sozialen Ausschluss, aber in der Tendenz wuchs die Zahl der Integrierten: Die wohlhabende Arbeiterklasse und die wohlhabende Mittelklasse wurden größer. Das geschah nicht, weil das System nett war, sondern weil die Wachstumsdynamik nach immer mehr von allem verlangt hat. Das Ergebnis: Es gab zunehmend Menschen mit Haus, Bildung, Pensionen, mit Teilhabe. - Heute ist die Tendenz andersherum. ...

Die Ökonomien wurden „gesund-geschrumpft“. Doch bei diesen „Schrumpfungen“ fliegen die Leute raus, von denen man glaubt, sie nicht zu brauchen. Es ist eine Ausweisung, eine wirtschaftliche Säuberung. Seit dem letzten Jahrzehnt gibt es dies auch im globalen Norden. Die Krise von 2008 wurde dazu benutzt, Sozialleistungen zu kürzen.Das sieht man besonders extrem in Spanien und Griechenland. Die griechischen Banken wurden gerettet, die Wirtschaft geschrumpft, die Leute flogen raus. ...

Die Dinge entwickeln sich in diese Richtung. Im Keynesianismus ging es in Richtung mehr Integration, jetzt drehen sich die Zeiger der Uhr rückwärts.


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