Sonntag, April 07, 2013

Syrien: "Später ist die Sache dann schmutzig geworden"


Knajeh ist ein Dorf "oben links" in Syrien. Ein rein katholisches Dorf. In ihm leben etwa tausend Christen, und bisher sind weder Truppen der freien syrischen Armee noch Regierungstruppen dorthin gekommen, kein Schuss soll dort gefallen sein. 
Man sagt: Wegen der Franziskaner


Im Dorf gibt es es eine Franzsikaner-Abtei, die von Pater Hanna geleitet wird. Sie wurde vor 135 Jahren gegründet, und hier gab es die erste Schule, das erste Theater, die erste Krankenstation und das erste elektrische Licht im Tal. Die Front zwischen Regierungs- und freier Armee verläuft nur wenige Kilometer von der Abtei entfernt: "Es gibt einen atavistischen Hass, der mit dem Krieg wieder hochgekommen ist", sagt der Pater. Doch die Abtei hat Hunderte von Flüchtlingen aufgenommen: Muslime, Christen und Alawiten. 

„Wir syrischen Christen stellen etwa sieben Prozent der Bevölkerung, das sind rund anderthalb Millionen Menschen. Die meisten wollen weder das Regime noch den Krieg. Wir wollen nur Frieden.

Anfangs waren wir bei den Demonstrationen dabei, solange sie noch friedlich waren. Später ist die Sache dann schmutzig geworden.

Das wurde mir klar, als hier in Dschisir die Rebellen 82 Soldaten erschossen und den Chef der Geheimpolizei aufgehängt haben.
Wenn man eine Idee hat, lässt man es nicht so weit kommen. Wenn du zum Mörder wirst, ist alles verloren.“ 
Quelle
Zwei syrische Kulturschaffende sehen die Lage so:
"Wie lässt sich die Lage in Syrien am besten beschreiben? Die einen sehen eine Revolution, die anderen einen Bürgerkrieg.
  • Vorweg: Der Kampf in Syrien ist keineswegs rein religiöser Natur. 
Die internationale Gemeinschaft übertreibt, wenn sie das behauptet. Diese Lesart entspringt einer orientalistischen Perspektive. Einer Sichtweise, die Syrer oder auch Araber insgesamt auf ihre konfessionelle Zugehörigkeit reduzieren will. 

Der Spanische Bürgerkrieg war eine Konfrontation zwischen Republikanern und faschistischen Anhängern Francos. Die russische Revolution entflammte vor dem Hintergrund des Aufstands gegen den Zaren. 
  • Auch die Lage in Syrien gleicht mehr diesen Beispielen als einem entfesselten Religionskrieg. 
  • Einer der Hauptgründe für den Bürgerkonflikt in Syrien ist der Aufstand eines Teils der Bevölkerung gegen eine feudale Schicht, die sie vollkommen unterjocht hatte. Den Großteil der aufständischen Sunniten treibt der Wunsch nach sozialer Gerechtigkeit und Rache an jenen Feudalisten viel mehr an als konfessionelle Befindlichkeiten.
  • Übrigens gehören auch die "Feudalisten" unterschiedlichen Konfessionen an.

Bürgerkonflikte sind immer vielschichtig und multikausal. Ausgelöst werden sie, grob gesagt, durch innere und äußere Faktoren.
  • Zu den inneren Faktoren zählt alles Konfessionelle, Religiöse, Ethnische, Klassenspezifische, Territoriale.
  • Das Regionale, Überregionale und Internationale sind die äußeren, geopolitischen Faktoren.
Schon wegen dieser Gemengelage ist ein Bürgerkonflikt nie rein konfessioneller Natur.

Westliche Medien, ja selbst internationale Menschenrechtsorganisationen greifen inzwischen fast immer auf die Bezeichnung "Bürgerkrieg" zurück,
wenn sie die Geschehnisse in Syrien beschreiben wollen. ... Im Unterschied zu dieser Erzählung sind wir der Ansicht, dass das, was in Syrien passiert, ein Volksaufstand ist. 
Dem zuvor skizzierten Narrativ widersprechen wir mit folgenden Argumenten: 
  • Erstens wird hier der Folterknecht mit seinem Opfer gleichgesetzt - und somit dem Aufstand jede moralische Dimension abgesprochen. 
  • Außerdem wird die Entwicklung des Aufstands gegen Assad ausgeblendet,
  • angefangen damit, dass im Jahr 2011 in Daraa fünfzehn Kinder wegen eines Graffito vom Regime gefoltert wurden,
  • über die friedlichen Proteste, die sich daraufhin nach und nach über das ganze Land ausbreiteten
  • und schließlich zu den gewaltfreien Demonstrationen von mehreren Hunderttausend Menschen in Hama und Deir as-Sur führten.
  • ...Als wäre das nicht genug, übergeht man auch die politische Geschichte des 20. Jahrhunderts: angefangen beim Staatsstreich vom 8. März 1963 über die "Korrekturbewegung" bis hin zur Machtübergabe an Baschar al-Assad durch seinen Vater. Auch dass die Baath-Partei und später der Assad-Clan keinerlei politische Teilnahme egal welcher Seite im Land zuließ, wird verdrängt.
Genauso falsch ist es, die syrische Revolution isoliert von den anderen arabischen Revolutionen zu betrachten. 
Die syrische Revolution ist Teil einer die gesamte Region erfassenden Volksbewegung, die vor allem danach strebt, ihre Gesellschaften von den diktatorischen und korrupten Regimen zu befreien. 
  • Die Beschreibung als "Bürgerkrieg" ignoriert all das und konzentriert sich einzig und allein auf den militärischen Aspekt des Geschehens.
  • Zwar hat der militärische Aspekt in letzter Zeit die Oberhand gewonnen. Doch die gewaltfreie Oppositionsbewegung existiert weiterhin. Abgesehen von den Demonstrationen, die bis heute weiterhin regelmäßig stattfinden, wird in Syrien vielfältigste zivilgesellschaftliche Arbeit geleistet: bei der humanitären Hilfe, bei der Berichterstattung durch Bürgerjournalisten und der Dokumentation der Ereignisse, bei der politischen und sozialen Koordination.

Die Akteure in all diesen Bereichen sehen sich keineswegs in einen "sinnlosen Bürgerkrieg" involviert. Vielmehr begreifen sie sich als Teil eines demokratischen Prozesses. Anzuerkennen, dass es in Syrien Ansätze eines Bürgerkriegs gibt, schließt nicht aus, zu erkennen, dass dort eine Revolution stattfindet.

  • Revolution wird definiert als das Streben breiter Bevölkerungsteile, ihre elende Lage zu beenden, wobei genau dieses Streben - in seinen unterschiedlichen Phasen - Formen eines Bürgerkriegs einschließen kann. 
Allgemeiner ausgedrückt: 
Stets steht ein Teil der Bevölkerung auf der Seite des repressiven Staates oder verharrt in Neutralität. Revolutionen ohne Gewalt, Revolutionen ohne Verlierer, ohne die notorisch Unentschiedenen, ohne Opportunisten und Märtyrer gibt es nicht. ... Trotzdem ist das, was derzeit in Syrien geschieht, eben kein "sinnloser Bürgerkrieg". Es ist eine Revolution, mit allen dazugehörigen Mühen und Schmerzen und unterschiedlichen Phasen. Es ist der längste und steinigste aller Wege, die Freiheit zurückzuerlangen."
 MOHAMMED AL-ATTAR, ODAI ALZOUBI 

  • Mohammed al-Attar, geboren 1980, ist syrischer Dramatiker.
  • Odai Alzoubi, geboren 1981, ist syrischer Schriftsteller 
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Siehe auch: 

Dienstag, April 02, 2013

Die fetten Jahre sind vorbei. Oder sind sie zurück?


Die Katholische Arbeitnehmerbewegung (KAB)  

beklagt die soziale Ungerechtigkeit in diesem Land. Der Augsburger Betriebsseelsorger Erwin Helmer (60) kämpfte bei Amazon wie in der eigenen Kirche gegen Leiharbeit und prekäre Beschäftigung. Und er hat einen Heiligen erfunden:

Sankt Prekarius

"Das Standbild habe ich in Zusammenarbeit mit der Christlichen Arbeiter-Jugend Bayern schnitzen lassen. Die Figur hat leere Hosentaschen, trägt Jeans und einen Besen. Dieser Heilige dient als Symbol für prekäre Beschäftigung – Leihar­beit, Niedriglohnjobs, Werkverträge. Er begleitete uns bereits bei Aktionen vor dem Arbeitsgericht, bei Betriebsversammlungen, Straßenaktionen und in Gottesdiensten. Denn immer mehr Menschen ar­beiten in solchen Verhältnissen."
Die fetten Jahre sind vorbei...

Spielfilm Deutschland/ Österreich aus dem Jahre 2004

Auch an den Universitäten: Wissenschaftliches Prekariat

Alle beklatschen den Studentenansturm - aber sie haben nur Kleingeld dafür:
Egal, worum es geht - Hochschulbau, Wohnen und Essen oder Studienbedingungen -, überall regiert Schmalhans.

[...] Am schlimmsten ist es vielleicht beim Hochschulbau. Hier ermüdet der Run auf die Unis die Hörsäle und Seminarräume. Zugleich ächzen die Hochschulen unter der Überalterung und Auszehrung ihrer Gebäude. In Düsseldorf tropft es in Büros und Seminarräumen. So ähnlich sieht es an vielen deutschen Universitäten aus. "Sanierung und Modernisierung der Hochschulbauten sind jahrzehntelang vernachlässigt worden. Jetzt rächt sich diese Politik", sagt der Präsident der deutschen Rektoren, Horst Hippler, der taz.[..]
Mangel herrscht überall. - Das hat zunächst einen erfreulichen Grund. Seit 2009 steigt die Zahl der Studierwilligen steil an. Gab es damals noch knapp über 400.000 Erstsemester, so sind es jetzt mit schöner Regelmäßigkeit 25 Prozent mehr. [..]

Aus der Portokasse aber lässt sich gerade bei Dozenten und Professoren der Studienboom nicht bezahlen. Bei bestimmten Personalkategorien wie wissenschaftlichen Mitarbeitern oder Lehrbeauftragten ist die Situation längst eskaliert. "Es gibt Beschäftigungsverhältnisse, die sind schlechter als in der Gastronomie", sagt der Sprecher der Bundesarbeitsgemeinschaft Wissenschaft der Linken, Tobias Schulze. [...]

... aber offenbar nicht für alle:




Titelbild Manager-Magazin März 2013

Die fetten Jahre sind zurück, 


schreibt das Magazin im März 2013.
"Uns geht's besser, als wir glauben. Deutschland, das prophezeit eine umfangreiche Studie der Unternehmensberatung McKinsey für manager magazin, steht am Beginn einer langen Wachstumsphase. Wie Deutschland diese goldene Ära erreichen kann, damit befasst sich die Titelgeschichte des aktuellen Hefts."
Gleichzeitig schreibt das Magazin aber auch: 
"Die Arbeitslosigkeit in den 17 Euro-Ländern hat einen neuen Rekord erreicht. Im Februar waren rund 19 Millionen Menschen ohne Job. Während Deutschland mit 5,4 Prozent am besten dasteht, klettert die Quote in Griechenland und Spanien über die Marke von 26 Prozent."

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Man kann sich fragen:

  • Sieht McKinsey die goldene Ära richtig voraus?
  • Und für wen kommt eigentlich die goldene Ära? Für die Manager und/oder die Gemanagten
  • Kann man darauf wetten?  
Eher würde man bei einer Wette wohl dem OECD-Generalsekretär Angel Gurría vertrauen wollen:

Die Industrieländerorganisation OECD mit Sitz in Paris hat errechnet, dass China noch 2016 die Vereinigten Staaten als größte Volkswirtschaft der Welt überholen wird. (Die Eurozone hat China bereits hinter sich gelassen.)  - 
Während Europa und Japan auch in den nächsten Jahren weitgehend stagnieren werden und die US-Wirtschaft vielleicht um zwei bis drei Prozent wachsen wird, entwickele sich China, „unaufhaltsam weiter“, urteilt Gurría:
„Es sieht halt derzeit einfach nicht gut aus für die alten Industrieländer.“ 
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Auch auf Frau Herrmann von der taz würde ich in diesem Falle eher wetten als auf McKinsey:


»...es bleibt der irritierende Verdacht, dass Eliten wie Lemminge sind, die munter in den eigenen Untergang springen – und ihre Wähler dabei ebenfalls in den Abgrund reißen. Bei der Eurokrise ist nur noch die Frage, wann dieser „Lehman-Moment“ erneut eintritt.

Die Wahrscheinlichkeit ist recht groß, dass wir ihn mit der verkorksten „Rettung“ von Zypern gerade schon erlebt haben. Denn Zypern und Lehman Brothers haben eines gemein: Man hielt sie anfangs für unbedeutend. Zypern hat nur etwa 800.000 Einwohner, Lehman war eine eher unwichtige Bank. - Bei den Kleinen kann man es ja mal probieren, scheint die Idee der selbstgewissen Eliten zu sein.

Italien hat keine Regierung, Slowenien auch eine Bankenkrise, Malta einen überdehnten Bankensektor, Spanien ist in der Rezession, Portugal überschuldet – und Griechenland häuft neue Defizite auf, weil sich die Wirtschaft in freiem Fall befindet.

Die allgemeine Unsicherheit nach der Lehman-Pleite zwang Kanzlerin Merkel zu einem historisch beispiellosen Schritt. Sie stellte sich 2008 vor die Fernsehkameras und erklärte den Deutschen, dass alle Spareinlagen sicher seien. Es handelte sich also um eine unbegrenzte Einlagensicherung, die durch den Staat garantiert wurde.

Bisher gilt diese Garantie nur für Deutschland, doch dürfte sich die Kanzlerin demnächst gezwungen sehen, die unbegrenzte Einlagensicherung auf die gesamte Eurozone auszuweiten. Denn sonst fliegt der Euro auseinander, weil ständig Hunderte von Milliarden Euro auf der Flucht sind.«...


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