Freitag, August 30, 2013

Responsibility to protect? Vom Gas, Augustinus und vom "Gerechten Krieg"

Orthodoxer Priester segnet Soldaten. -  In Kampfstiefeln.
Es wird leider immer ver-rückter in Syrien
Noch immer ist (zum Zeitpunkt dieses Posts) nicht bewiesen, woher die chemischen Stoffe stammen, die die vielen Toten am 21.8.13 verursacht haben, und schon planen die amerikamische und die britische Regierung eine militärische "Strafaktion" gegen die syrische Regierung - ein Gewalt-Akt,
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    Übigens: Schaut ein Syrer (oder eine Syrerin) zuhause ins TV, dann sieht die Welt natürlich anders aus als aus unserer "westlichen" TV-Sicht:
    Während (laut Washington Post) die USA noch daran arbeiten, wie man die geplante Strafaktion, doch noch irgendwie mit dem Völkerrecht in Einklang bringen kann und Beweise dafür zu finden (oder zu erfinden?), dass allein die syrische Regierung Schuld an dem (bisher) vermutlichen Kampfstoff-Einsatz ist, war das syrische TV schneller und zeigt schon jetzt in einen Film, wie Einheiten der regulären syrischen Armee einen Unterschlupf der "Terroristen" (= Rebellen) im Viertel Dschobar in Damaskus stürmten. Angeblich wurden dort Materialien sichergestellt, die belegen, dass "Terroristen" (also die Rebellen) für die Chemiewaffenangriffe im Westen und im Osten des Bezirks al-Ghuta am 21. August verantwortlich sind.- Was/wem glaubt "die Syrerin"?
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    Sicher ist: 
    Der Trend der "internationalen Gemeinschaft" geht nach dem Zusammenbruch des Ostblocks und dem Ende des Kalten Krieges wieder zum Gewalt-Einsatz.

    Die UN-Charta von 1945, die alle UN-Mitglieder bindet,  verbietet in Artikel 2(7) jeden Einsatz von Gewalt gegen andere Staaten mit der Ausnahme, dass ein Staat, der von einem anderen angegriffen wird, sich - ohne erst den UN-Sicherheitsrat zu fragen -  mit Gewalt verteidigen darf und andere Staaten dabei um Hilfe bitten darf. Dieses absolute Interventions-Verbot ist rechtlich verpflichtend und gilt bis heute.

    Aufgeweicht (aber nicht rechtlich aufgehoben) 
    wurde das Interventions-Verbot im Jahr 2005 durch einen einstimmigen(!) Beschluss der UN-General-Versammlung(!), der in seinen Paragraphen 138 und 139 von der "Schutz-vernatwortung" spricht, der "Responsibility to protect". Dieser Beschluss ist - im Unterschied zum o.g. Arikel 2(7) der UN-Charta kein zwingende Völker-Recht, sondern nur eine wegweisende Norm, die de facto das Völker-Recht aufweicht bzw. durchbricht. Voraussetzung für einen militärischen Einsatz im Sinne dieser "Schutz-Verantwortung" ist jedoch ein Mandat des UN-Sicherheitsrates. Dieser kann das Mandat gegen den Willen einer egierung erteilen, wenn die Regierung dieses Landes die Achtung der Menschenrechte in ihrem eigenen Land nicht sicherstellen kann oder will  und somit die souveräne Schutz-Verantwortung gegenüber seinen eigenen BürgerInnen versäumt und verwirkt hat.

    Michael Brumlik, (* 1947 als Kind jüdischer Flüchtlinge in der Schweiz, bis zu seiner Emeritierung im Frühjahr 2013 Professor am Fachbereich Erziehungswissenschaften an der Uni Frankfur/Main) meint zu dieser Tendenz:
    "Gleichwohl mache man sich nichts vor: Auch diese Rechtsentwicklung folgt materiellen Interessen. Auch der grauenhafte Giftgastod syrischer Kinder findet mediale Aufmerksamkeit vor allem deshalb, weil der „failed state“ Syrien inmitten der für die USA noch interessanten Ölgebiete des Mittleren Ostens und in nächster Nähe einer für die EU ob ihrer Bindungen an die Türkei und Israel wichtigen Region liegt.
    Im Fall von weiter abgelegenen „Hinterhöfen“ der Weltgesellschaft hat massenhaftes Morden und Sterben niemanden interessiert und wird auch weiterhin niemanden interessieren. Gewiss: Jede(r) der inzwischen mehr als 100.000 Toten in Syrien ist eine, einer zu viel. Indes: Der vor allem im Osten des Kongo seit 2002 geführte „Bürgerkrieg“ und seine Folgen haben vermutlich – fernab aller Öffentlichkeit – seither etwa 4 Millionen Opfer gekostet: Alte, Kinder, Frauen – ein Gemetzel, das allemal mit dem Dressieren von Kindern zu Kampfmaschinen und mit der regelhaften, massenhaften Vergewaltigung von Frauen einhergeht."
    Kleine Anmerkung am Rande: Den größten Giftgas-Angriff seit dem ersten Weltkrieg gab es ab 1983 im 1. Golfkrieg. Damals war Saddam Hussein noch der Good Boy der USA und setzte mit dessen Billigung und Unterstützung Senfgas, Sarin und Tabun gegen den Iran ein, der auch damals schon der Schurkenstaat war.  Die Grundstoffe für das Giftgas, die Produktionsanlagen und das Know-How kamen aus Deutschland.
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    Auch die Kirchen befassen sich mit diesem Trend und der Responsibility to protect:

    Trotz aller Waffen segnenden Pfarrer und Priester gab es in den Kirchen auch immer pazifistische - (von lat. pax, „Frieden“, und facere, „machen, tun“) - also Frieden-stiftende Traditionen.

    Dem ökumenischen Rat der Kirchen (ÖRK) gehören 349 evangelische und orthodoxe Kirchen aus über 120 Ländern an, die römisch-katholische Kirche gehört nicht dazu, genießt aber einen Gast-Status.
    Die UNO wurde nach dem zweiten Weltkrieg am 26. Juni 1945 in San Franzisko mit 50 Staaten gegründet, der ÖRK 1948 in Amsterdam, damals als Zusammenschluss von 147 Kirchen. In ihrem Leitbild heißt es seitdem:
    "Krieg soll nach dem Willen Gottes nicht sein".

    Die nächste (10.) Vollversammlung des ÖRK wird vom30. Oktober bis 8. November 2013 in Bursan (Südkorea) stattfinden. Motto: "Gott des Lebens, weise uns den Weg zu Gerechtigkeit und Frieden".
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    * 1964 in Curitiba, Brasilien, ist Leiter der Arbeitsstelle "Theologie und Friedenskirchen" am Theologischen Institut der Universität Hamburg und Professor für (Friedens-) Theologie und Ethik an der Theologischen Fakultät der Vrije Universiteit Amsterdam. - Bei einem Kongress Mitte Juni 2013 in Berlin ("Menschen geschützt - Gerechten Frieden verloren") äußerte sich Enns auch zum Konzept der Schutzverantwortung aus ethischer Sicht:

    Eignet sich das Konzept der »Schutzverantwortung« (»Responsibility to Protect«) aus ethischer Sicht dazu, unschuldige Menschen vor Ungerechtigkeit, Krieg und Gewalt zu schützen? 
    Seine Antwort ist: Nein, nicht wirklich.


    [...] "Denn das Problem scheint doch zu sein, dass sich im Rahmen des Konzeptes »Responsibility to Protect « – entgegen unserer besten Absichten – eindeutige Parallelen zur »Lehre vom gerechten Krieg« ergeben [siehe unten]. Es hat sich gezeigt, dass diese Lehre – entgegen ihrer ursprünglichen Intention – Kriege nicht eingedämmt hat, sondern stets Legitimationen – durch Politik und Kirche – Vorschub leistete. Die große Gefahr ist nun, dass dies im gleichen Maße für das so anspruchsvoll ausgearbeitete Konzept der »Schutzverantwortung « gilt. 
    Im Spiel politischer Macht- und Eigeninteressen ist deutlich geworden: Es ist unrealistisch zu meinen, dass Regierungen solch hehren Intentionen (allein) folgen und die aufgezeigten ethischen Leitplanken konsequent einhalten." [...]

    Es ist – zumindest unter den Kirchen der Ökumene – Konsens, was die primären Aufgaben sind:
    • »Responsibility to Prevent« Die Verantwortung zur gewaltfreien Konfliktprävention durch die Ermöglichung eines Lebens in gerechten Beziehungen für alle(!): Gerechtigkeit als Weg des Friedens! 
    • »Responsibility to React« Die Verantwortung zum Eingreifen in einen Konflikt, um jene zu schützen, die das selbst nicht können, sofern diese das wünschen (da mit ist noch nichts zu den legitimen Mitteln gesagt): Frieden als Weg der Gerechtigkeit!
    • »Responsibility to Rebuild« Die Verantwortung zu Versöhnung und Heilung sowie zum Aufbau gerechter Verhältnisse nach einem Konflikt: der Weg der restaurativen (oder transformativen) Gerechtigkeit, aus dem erst Sicherheit erwachsen kann.
    • Und es ist ebenfalls ökumenischer Konsens, bei all dem möglichst gewaltfrei bleiben zu wollen, gewaltfreie Mittel zu entwickeln, in Gerechtigkeit zu investieren, anstatt zu meinen, Sicherheit könnte durch Gewalt geschaffen werden."

    In der Gewaltlogik gefangen
    "Wer militärische Gewalt weiterhin als Mittel der Politik ansieht und also stets mit ins Kalkül zieht – und sei es aus den besten, ethisch begründeten Motiven, und sei dies auch noch so ausdrücklich als »ultima ratio« eingeschränkt – bleibt letztlich in den Gewaltlogiken gefangen, die unsägliche Ungerechtigkeiten in Kauf nehmen und neue erzeugen."

    "Das hat so weitreichende Folgen 
    wie die sich daraus notwendig ergebende 
    • Legitimierung zur Waffen-Produktion, 
    • zum Waffen-Export, 
    • bis zur Entwicklung von neuen Tötungs-Technologien. 
    Diese »ultima ratio«-Argumentation »funktioniert« in der Praxis eben so wenig wie es die »Lehre vom gerechten Krieg« tat. Immer wieder wird mit dem Argument der »rechtserhaltenden Gewalt« argumentiert. Welches »Recht« ist eigentlich gemeint? Wer hat das entschieden, auf welcher Grundlage? Stellen sich dieMächtigen ebenso unter dieses Recht, wie sie es von anderen einfordern? Die Sorge ist bisher nicht ausgeräumt, dass es amEnde eben doch um den Rechtserhalt der Stärkeren und Mächtigen geht – die gleichzeitig und im Verhältnis so wenig für die Gerechtigkeit der Lebenschancen tun. 
    • Daraus ergibt sich bisher keine glaubwürdige Praxis; und eben dies stellt dann auch die gesamte ethische Argumentation für das Konzept der »Responsibility to Protect« wieder in Frage."

    Militärische Interventionen als »letzte Option« überwinden

    "Die ethische Herausforderung muss hier noch einmal zugespitzt werden, indem wir 
    • die notwendige Unterscheidung zwischen militärischer Gewalt (engl. violence)
    • und polizeilichem Zwang (engl. coercion) einführen. 
    Um die polarisierten Diskussionen im Blick auf militärische Interventionen als »letzte Option« zu überwinden, haben Mennoniten und Katholiken gemeinsam das weiterführende Verständnis des »just policing« entwickelt und in die ökumenischen Debatten eingeführt. Eine solche internationale(!) Polizeikraft müsste kontrolliert sein durch das Recht der internationalen Gemeinschaft, gebunden an die unbedingte Einhaltung der Menschenrechte. 
    Sie würde nicht den Anspruch erheben, einen Konflikt zu lösen, sondern die Verwundbarsten vor unmittelbarer Gewalt zu schützen. Sie dürfte nicht als Partei oder Aggressor eingreifen oder so wahrgenommen werden, sondern allein auf Gewaltdeeskalierung und -minimierung zielen und daher selbst so wenig Zwang wie möglich ausüben. Sie suchte nicht den Sieg über andere, sondern strebte danach, gerechte »Win-Win-Lösungen« zu ermöglichen. 
    • Dies erforderte eine völlig andere Ausstattung und Ausbildung, als die eines Militärs.
    Massenvernichtungswaffen haben hier keinen Raum. Wenn irgend möglich, sollte auf Waffenanwendung ganz verzichtet werden. [...] 
    Ich behaupte hier nicht, dass das Konzept des »just policing« die letzte Weisheit auf die gestellte ethische Herausforderung darstellen kann. Sicher nicht. Aber ich sehe hier einen möglichen Weg, in dieser so wichtigen Debatte den nächsten Schritt zu gehen, nicht nur in der Ökumene, sondern auch und gerade im Dialog mit der Politik." 

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    p.s.:

    Die Lehre vom gerechten Krieg
    Die Denkfigur des "gerechten Krieges" lässt sich über eineinhalb Jahrtausende Kriegsgeschichte zurückverfolgen. Die Vorstellung, dass es Kriege gibt, die gerechter sind als andere oder deren Führung sogar moralisch geboten ist, wurde vor rund 1500 Jahren vom Kirchengelehrten Augustinus (354 bis 410 n. Chr.) entwickelt.
    In Kombination mit dem fünften Gebot wurde der Gewaltverzichtsaufruf von Kirchenlehrern bis ins 4. Jahrhundert n. Chr. als absolutes Tötungs- und Kriegsverbot verstanden. - Allerdings:Die Christen wurden zu dieser Zeit auch nicht in Versuchung geführt, da ihre Gemeinde über keinerlei politische Macht verfügte. So änderte sich die Bibelauslegung just zu dem Zeitpunkt, an dem christliche Religion und politische Macht erstmals zusammenflossen und Christen erste Kriege führten.
    In der Interpretation des Ambrosius von Mailand, dankbar aufgegriffen von Kaiser Gratian, verkehrte sich das absolute Gewaltverbot in eine Pflicht zur Kriegführung in bestimmten Fällen: "Wer nicht gegen das Unrecht, das seinem Nächsten droht, soweit er kann, kämpft, ist ebenso schuldig wie der, der es diesem antut."
    Der "Heilige" Augustinus von Hippo
    Augustinus wird allgemein als der Urheber der Lehre vom "gerechten Krieg" betrachtet. Unter dem Eindruck des zusammenbrechenden römischen Reiches vor den heranrückenden Völkern aus dem Norden Europas verfasste er sein Hauptwerk "De civitate Dei" (Über den Gottesstaat).
    Aus diesem Text leiteten die Augustinus-Exegeten 
    • die erste Bedingung des "gerechten Krieges" ab, die Kriegserklärung durch eine rechtmäßige Obrigkeit (auctoritas principis), die "gerechte Krieg führende Partei". 
    Zur Beurteilung gegenwärtiger Kriegslegitimierungsansätze ist jedoch Augustinus' 
    • zweiter Grundsatz des "gerechten Krieges" entscheidender: der "gerechte Grund". So vermerkte Augustinus: "Gerechte Kriege pflegt man als solche zu definieren, die Unrecht ahnden (. . .)."
    Der Text des Aufustunus definiert also exakt jene Kategorien als Vorbedingungen, mit denen militärische Interventionen auch heutzutage gerechtfertigt werden. Hier findet sich nicht nur die Idee, dass es in bewaffneten Konflikten eine "gute" und eine "böse" Seite gibt, sondern auch die Vorstellung, dass die gute Seite sowohl das Recht als auch die Pflicht hat, den gewalttätigen Gegner zu bestrafen. - Augustinus' "gerechter Krieg" präsentiert sich somit als Strafaktion der "Gerechten" gegenüber den "Ungerechten". 

    Besonders wichtig war Augustinus 
    • die dritte Bedingung des "gerechten Krieges", die auf das Verhalten der Kämpfenden im Krieg abzielt: "Berechtigte Einwände gegen den Krieg sind die in ihm hervortretenden Gesinnungen, wie Lust zu schaden, grausame Rachgier, Unversöhnlichkeit, Vergeltungswut, Eroberungssucht (. . .)".
    Das Töten an sich ist für Augustinus allerdings legitim: 
    "Was ist am Kriege zu tadeln? Ist es die Tatsache, dass darin Menschen getötet werden - die doch alle eines Tages sterben müssen -, damit die Sieger in Frieden leben können?" 
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