Samstag, Dezember 07, 2013

"Ich liebe mein Land. Lieben Sie ihr Land?" - Von Bonhoeffer, Heinemann und Rusbridger



Diese Woche musste der Chefredakteur der britischen Tageszeitung Guardian, Alan Rusbridger, vor einem Untersuchungs-Ausschuss des britischen Unterhauses antreten.

Ihm wird vorgeworfen, England dadurch geschadet zu haben und Terroristen ein Geschenk gemacht zu haben, dass der Guardian Dokumente des Leakers Edgar Snowden veröffentlicht hat. Alle drei Chefs der drei britischen Geheimdienste sollen dem Untersuchungs-Ausschuss bestätigt haben, dass Rusbridger massiven Schaden für das Land angerichtet habe.

Mitglied des Untersuchungs-Ausschusses:
"Do you love this country?"

"I love this country. Do you love this country?"
fragte ihn ein Mitglied des Ausschusses.

Man hört im Hintergrund einige Leute lachen, als die Frage gestellt wird. Auch Rusbridger lacht kurz auf.  - Der Frager insistiert: "Wie beantworten Sie diese Frage?" -

Rusbridger:
Ja, wir sind Patrioten. Und patriotisch sind wir vor allem dadurch, dass es uns um die Demokratie und die Pressefreiheit geht. Und darum, dass man diese Sachen in diesem Land noch diskutieren kann ("discuss an report these things").

Screenshot: Rusbridger vor dem Ausschuss
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Gustav Heinemann 1969
(Quelle: Bundesarchiv)
Gut 40 Jahre vorher, 1969 (bis 1974), übernahm Gustav Heinemann das Amt des (dritten) Bundespräsidenten der Bundesrepublik Deutschland. Er bekam in einem Inteview Anfang 1969 die gleiche Frage gestellt, reagierte weniger elegant aber legendär:

„Herr Bundespräsident! Deutschland erlebt gerade – so zur Fußballweltmeisterschaft – so eine Welle von nationaler Begeisterung.
Wie ist das mit Ihnen? Lieben Sie Deutschland?“
"Ach was, ich liebe keine Staaten, ich liebe meine Frau, fertig."
 
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"Ein ganz gewöhnlicher Landes-Verräter"
 
Dietrich Bonhoeffer 1939
(geb. 1906, erhängt 1945)

Bonhoeffer gehörte zu den Menschen der Kirche,
  • die nicht - wie z. B. viele Deutsche Christen - in absoluter Staatstreue dem Nationalsozialismus und damit Hitler treu ergeben waren. 
  • Er gehörte auch nicht zu der Kategorie derer, die vor allem die Kirche bewahren wollten und damit kirchenintern Widerstand leisteten. 
Sein Widerstand war vor allem politisch geprägt.
Er ist also jener kleinen Zahl von Widerständlern zuzurechnen, die bis in die 1960er bis 80er Jahre hinein weder in unserer Gesellschaft noch in unserer Kirche wirklich anerkannt waren.

Am 7.11.2008 berichten die »Stuttgarter Nachrichten«, dass der Vorsitzende der »Arbeitsgemeinschaft Wasserkraftwerke Baden- Württemberg«, Manfred Lüttke, CDU-Mitglied, Bonhoeffer in einem bestimmten Zusammenhang öffentlich als einen »ganz gewöhnlichen Landesverräter« bezeichnet hat. Wörtlich äußert Lüttke:
  »Dietrich Bonhoeffer wird als Widerstandskämpfer gefeiert, war aber aufgrund seiner intensiven Kontakte mit der deutsch-feindlichen englischen Kriegspolitik, die er unterstützte und mit Informationen versorgte, eher ein ganz gewöhnlicher Landesverräter, der nach den Gesetzen aller Länder - besonders in Kriegszeiten - in Frankreich, Amerika oder Russland genauso mit schwerer Bestrafung nämlich der Todesstrafe - rechnen musste.« 
Die Formulierung »ein ganz gewöhnlicher Landesverräter« ist in dem Schriftstück vergrößert und fettgedruckt. Herr Lüttke musste später, auch auf Druck der CDU, zurücktreten.  Das Amtsgericht Karlsruhe erließ einen Strafbefehl über 3000 Euro gegen ihn wegen grober und schwerwiegender Herabsetzung und damit einer Verunglimpfung des Andenkens Verstorbener. Lüttke legte dagegen Widerspruch ein. - Die hier aber zum Ausdruck kommende Geisteshaltung hat über viele Jahre hin die Einstellung in der Bundesrepublik geprägt.

Am 19.6.1956 hat der Bundesgerichtshof in Karlsruhe
in fataler Weise Dietrich Bonhoeffer im Grunde ein zweites Mal verurteilt, sahen die Richter doch in ihm, wie Herr Lüttke, einen Hoch- und Landesverräter und sprachen ihm das Recht zum Widerstand ab. Erst 1985 wurden »in einem langen Prozess die Urteile des berühmt-berüchtigten Volksgerichtshofes zu Verbrechen erklärt. Das war eine wichtige Vorstufe für die Rehabilitierung Bonhoeffers, um die sich nicht etwa die Evangelische Kirche bemühte, wie man erwarten könnte, sondern zwei private Initiativen.«

Nach vielen Mühen und erst dreizehn Jahre später hob schließlich der Deutsche Bundestag 1998 »die Unrechtsurteile des nationalsozialistischen Justizsystems mit einstimmigem Beschluss auf und erklärte sie für rechtsungültig«.

Der anglikanische Bischof George Kennedy Allen Bell aus Chichester in England, den Bonhoeffer über seine Arbeit in der Ökumene kennen und schätzen gelernt hat als engen Vertrauten im Widerstand, hat 1948 in der englischen Ausgabe der »Nachfolge« geschrieben:
»Ich kannte ihn aus seiner Londoner Zeit in den frühen Tagen des Schreckensregimes und habe durch meine enge Freundschaft mit ihm mehr als durch jeden anderen gelernt, worum es damals in Wahrheit ging. […] Er war kristallklar in seinen Überzeugungen, und so jung und so bescheiden er war, er erkannte die Wahrheit und sprach sie aus, ohne sich im geringsten zu fürchten.« 
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"Wenn wir Geschichte nicht verstehen, sehen wir die Risiken für die Zukunft nicht." Der US-amerikanische Historiker Timothy Snyder plädiert für eine intensive Beschäftigung mit der Geschichte. Am 6. Dezember 2013 erhielt er den Bremer Hannah-Arendt-Preis für politisches Denken. Der Professor an der Yale-University wurde für sein Buch "Bloodlands. Europa zwischen Hitler und Stalin" geehrt. In einem Interview sagte er, erst nach zwei Generationen, aus 60 Jahren Abstand, könne man als Historiker und Wissenschaftler Ereignisse der Geschichte wirklich beurteilen. -

Bis 2070 möchten wir, was Snowden, Mannings und Rusbridger betrifft, aber nicht warten.





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