Dienstag, Februar 11, 2014

Präsident Gustav Heinemann - Präsident Joachim Gauck - Kaiser Wilhelm II. - "Wir ziehen in den Krieg." - Drei Reden, drei Akzente.



Screenshot Heute-Show 7.2.2014

Debatte Deutsche Militärpolitik

"Wir ziehen in den Krieg

Welche Ziele verfolgt die Regierung mit ihren Einsätzen?  ...

Alles begann damit, dass Bundespräsident Gauck tat, was nicht seines Amtes ist. Mit seinem Appell, Deutschland möge sich künftig militärisch stärker in Krisenregionen engagieren, definierte er die Richtlinien einer neuen deutschen Außenpolitik. Diese Einmischung ins Tagesgeschäft entspricht nicht seinem Verfassungsauftrag, aber das fiel bei all den Schlachtrufen gar nicht weiter auf. Schließlich sind der sozialdemokratische Außenminister und die christdemokratische Verteidigungsministerin ja ganz seiner Meinung. Was geht in ihnen vor?" Quelle 

 ________________________________________________


 I.
Die Rede von Bundespräsident Joachim Gauck auf der Münchner Sicherheitskonferenz 2.2.2014 schlägt weiterhin hohe Wellen.

»Heute treiben uns neue Spannungen und neue Kriege um: zwischen Staaten und innerhalb von Staaten, in der Nähe und in der Ferne.  ... Kurzum: Ich möchte sprechen über die Rolle Deutschlands in der Welt. ... Deutschland ist überdurchschnittlich globalisiert und es profitiert deshalb überdurchschnittlich von einer offenen Weltordnung – einer Weltordnung, die Deutschland erlaubt, Interessen mit grundlegenden Werten zu verbinden....  Die Kernfrage lautet doch: Hat Deutschland die neuen Gefahren und die Veränderung im Gefüge der internationalen Ordnung schon angemessen wahrgenommen? Reagiert es seinem Gewicht entsprechend? ... Nach dem Zweiten Weltkrieg hatte zunächst niemand, nicht im Ausland und nicht im Inland, Interesse an einer starken internationalen Rolle Deutschlands. ... Und wenn wir überzeugende Gründe dafür gefunden haben, uns zusammen mit unseren Verbündeten auch militärisch zu engagieren, sind wir dann bereit, die Risiken fair mit ihnen zu teilen?..

Deutsche Soldaten in Afganistan. Im Kiniofilm Zwischen Welten

Die Bundesrepublik muss dabei auch bereit sein, mehr zu tun für jene Sicherheit, die ihr von anderen seit Jahrzehnten gewährt wurde.... Manchmal kann auch der Einsatz von Soldaten erforderlich sein. Eines haben wir gerade in Afghanistan gelernt: Der Einsatz der Bundeswehr war notwendig, konnte aber nur ein Element einer Gesamtstrategie sein.... Aber wenn schließlich der äußerste Fall diskutiert wird – der Einsatz der Bundeswehr –, dann gilt: Deutschland darf weder aus Prinzip "nein" noch reflexhaft "ja" sagen....«

Van der Leyens Kernbotschaft lautete:
  • "Gleichgültigkeit ist für ein Land wie Deutschland keine Option, weder aus sicherheitspolitischer noch aus humanitärer Sicht."
  • Wenn an Konfliktherden weltweit Hilfe gebraucht werde, dürfe die Bundesrepublik nicht abseits stehen.
  • "Wenn wir über die Mittel und Fähigkeiten verfügen, dann haben wir auch eine Verantwortung, uns zu engagieren", rief von der Leyen in den Saal.

    Steinmeier bekräftigte die Bereitschaft Deutschlands
    zu einer stärkeren Rolle bei der Bewältigung von Krisen weltweit.
    • „Deutschland ist eigentlich zu groß, um Weltpolitik nur von der Außenlinie zu kommentieren“, sagte er am Samstag auf der Münchner Sicherheitskonferenz.
    • Deutschland müsse bereit sein, sich außenpolitisch früher, entschiedener und substanzieller einzubringen.
    • Die Bundesregierung wolle und werde Impulsgeber für eine gemeinsame europäische Sicherheits- und Verteidigungspolitik sein. Der Einsatz von Militär dürfe aber nur „ultima ratio“ sein, also letztes Mittel.
    Siehe auch:
    > Die Antwort der Friedensbewegung

    ________________________________________________
Gustav Heinemann bei seinem Amtsantritt 1.7.1969
II.
Einer seiner Vorgänger als  Bundespräsident hielt eine vielbeachteteRede, die in weiten Teilen konträr zur Rede des aktuellen Bundespräsidenten steht.

In his inaugural speech, newly elected federal president Gustav Heinemann declares peace a top political priority and appeals to the younger generation, in particular, to gradually effect positive social change. He warns listeners against the frivolous abuse of liberties, including the right to refuse military service.

»Meine Damen und Herren, ich trete das Amt in einer Zeit an, in der die
Welt in höchsten Widersprüchlichkeiten lebt. Der Mensch ist im Begriff, den Mond zu betreten, und hat doch immer noch diese Erde aus Krieg und Hunger und Unrecht nicht herausgeführt. Der Mensch will mündiger sein als je zuvor und weiß doch auf eine Fülle von Fragen keine Antwort. Unsicherheit und Resignation mischen sich mit der Hoffnung auf bessere Ordnungen. Wird solche Hoffnung endlich erfüllt werden? Das ist eine Frage an uns alle, zumal an uns hier, die wir kraft der uns erteilten Mandate Verantwortung für unsere Mitbürger tragen.

Ich sehe als erstes die Verpflichtung, dem Frieden zu dienen. Nicht der Krieg ist der Ernstfall, in dem der Mann sich zu bewähren habe, wie meine Generation in der kaiserlichen Zeit auf den Schulbänken lernte, sondern der Frieden ist der Ernstfall, in dem wir alle uns zu bewähren haben. Hinter dem Frieden gibt es keine Existenz mehr. (…)
Ich appelliere an die Verantwortung in den Blöcken und an die Mächte, ihre Zuversicht auf Sicherheit nicht im Wettlauf der Rüstungen, sondern in der Begegnung zu gemeinsamer Abrüstung und
Rüstungsbegrenzung zu suchen. [Beifall] Abrüstung erfordert Vertrauen. Vertrauen kann nicht befohlen werden; und doch ist auch richtig, daß Vertrauen nur der erwirbt, der Vertrauen zu schenken bereit ist. Es gehört zu den vornehmsten Aufgaben unserer Politik, Vertrauen aufzuschließen. Dieser Aufgabe sind alle Machtmittel unterzuordnen -die zivilen und die militärischen. (…)

Wir werden erkennen müssen, daß die Freiheit des einzelnen nicht nur vor der Gewalt des Staates, sondern ebensosehr vor ökonomischer und gesellschaftlicher Macht geschützt werden muß. Der Einfluß der Verbände und ihrer Lobbyisten steht oft genug im Gegensatz zu unserer Ordnung, in der Privilegien von Rechts wegen abgeschafft sind, aber in der sozialen Wirklichkeit noch weiter bestehen. (…)

Es gibt schwierige Vaterländer. Eines davon ist Deutschland. Aber es ist unser Vaterland. Hier leben und arbeiten wir. Darum wollen wir unseren Beitrag für die eine Menschheit mit diesem und durch dieses unser Land leisten. In solchem Sinne grüße ich auch von dieser Stelle alle deutschen Bürger.« [Lebhafter Beifall]

________________________________________________

III.
Die sogenannte „Hunnenrede“ hielt Wilhelm II. am 27. Juli 1900 in Bremerhaven bei der Verabschiedung des deutschen Ostasiatischen Expeditionskorps zur Niederschlagung des Boxeraufstandes im Kaiserreich China:

»Große überseeische Aufgaben
sind es, die dem neu entstandenen Deutschen Reiche zugefallen sind, Aufgaben weit größer, als viele Meiner Landsleute es erwartet haben. ... Das Mittel, das ihm dies ermöglicht, ist unser Heer. ... In dreißigjähriger treuer Friedensarbeit ist es herangebildet worden nach den Grundsätzen Meines verewigten Großvaters. Auch ihr habt eure Ausbildung nach diesen Grundsätzen erhalten und sollt nun vor dem Feinde die Probe ablegen, ob sie sich bei euch bewährt haben. ... Eine große Aufgabe harrt eurer: ihr sollt das schwere Unrecht, das geschehen ist, sühnen. Die Chinesen haben das Völkerrecht umgeworfen. ... Bewährt die alte preußische Tüchtigkeit, zeigt euch als Christen im freundlichen Ertragen von Leiden ... «

Die wohl bekanntesten offiziellen und inoffiziellen Zitate dieser Rede lauteten:

 „Pardon wird nicht gegeben! Gefangene werden nicht gemacht!“
„Wie vor tausend Jahren die Hunnen ... sich einen Namen gemacht, der sie noch jetzt in der Überlieferung gewaltig erscheinen läßt, so möge der Name Deutschland in China in einer solchen Weise bestätigt werden, daß niemals wieder ein Chinese es wagt, etwa einen Deutschen auch nur scheel anzusehen.
________________________________________________

Was zuvor geschah:

Schon 1897 hatte Kaiser Wilhelm die Ermordung von zwei Missionaren durch einen chinesischen Mob zum willkommenen Anlass genommen, deutsche Kriegsschiffe an die ostchinesische Küste in die Hafenstadt Tsingtau/Qingdao zu entsenden, um das Gebiet der Provinz Shantun/Shandong im Handstreich in Besitz zu nehmen: Der chinesische Hafenkommandant hatte an einen Freundschaftsbesuch geglaubt.

Das deutsche Kaiserreich wollte ohnehin einen Stützpunkt für seine Fernostflotte errichten. Reichskanzler Bülow war der Ansicht:
Deutschland hatte um 1900 seinen Platz an der Sonne gefunden, und diese deutsche Sonne sollte nun in die ganze Welt strahlen.
Deutsche Marine vor Chinas Ostküste
Und Deutschland war etwas spät dran: Andere Mächte hatten schon nach den beiden Opiumkriegen (zwischen 1839 und 1860) ihr Einflussgebiet für den "Freihandel" an den Küsten Chinas abgesteckt: Franzosen und Briten am südchinesischen Meer, Japaner und Russen im ostchinesischen. "Die fremden Teufel".

Franzosen, Briten, Japaner, Russen: Die "fremden Teufel".
(Deutschland fehlte noch)
1899 kommt es zu Übergriffen auf die Eisenbahntrassen, die von Deutschen in Shandong verlegt werden. Von Qingdao aus schicken die Deutschen eine Strafexpedition und lassenin einem Dorf Dutzende von Zivilisten töten. 


Deutsche Strafexpedition in Shandong 1899 - Spielfilmszene
Die stete Rechtfertigung für deutsche Übergriffe:
Wir sind in China, um Gutes zu tun, dem inferioren Orient die Zivilisation zu bringen. ("Am deutschen Wesen soll die Welt genesen.") -
Das Massaker spielt den aufständischen "Faustkämpfern der gerechten Harmonie" oder "Faustkämpfern für Recht und Einigkeit" in die Hände, sie erhalten auf der Halbinsel Shandong regen Zulauf, auch von Frauen, den sog. "Roten Laternen". Von den europäischen Mächten werden die Aufständischen "Boxer" genannt.


Silvester 1899
wird in Peking der britische Missionar Sidney Brooks (von der Society for the Propagation of the Gospel) ermordet - für die Christen der 1. Märtyrer der Boxeraufstände. (Bisher waren nur chinesische Christen Opfer der Boxer geworden). Bei einem Treffen der Botschafter setzt sich der deutsche Botschafter Baron von Ketteler für ein hartes Durchgreifen ein, der amerikanische Botschafter stimmt ihm zu.  Der englische Botschafter Claude Mac Donald fordert die Westmächte auf, alle nationalen Rivalitäten ruhen zu lassen. Die chinesische Regierung beschließt, die Mörder zu finden, um die Botschafter zu besänftigen, die Boxer aber zu dulden, damit sie sich nicht - auch wegen anhaltender Dürre und Hunger - gegen die eigene Regierung wenden. Die neue Parole der Boxer: Unterstützt die Dynastie der Qing - Tod allen Ausländern. Sie tragen ihren Aufstand in die Städte, im Frühjahr 1900 häufen sich die Übergriffe auf chinesische Christen, der Preis für Messer verdoppelt sich, im Mai 1900 werden in einem Dorf 120 km von Peking entfernt - die auch wegen ihrer Privilegien verhassten - chinesische Christen erschlagen, französische Missionare übertreiben die Zahl der Getöteten,
die europäischen Botschafter fordern Truppen zu ihrem persönlichen Schutz an.
 850 Marinesoldaten aus 8 Nationen kommen mit Erlaubnis der Kaiserin-Witwe Cixi nach Peking und paradieren durch die Stadt: Eine öffentliche Demütigung für die Chinesen. Am 7. Juni 1900 entscheiden Hardliner am chinesischen Hof, die Boxer in die Stadt zu lassen.


Die Diplomaten fordern Verstärkung an. Eine internationale Flotte von 40 Kriegsschiffen unter britischem Kommando setzt 2000 Marine-Soldaten an Land,eine multinationale Streitmacht, wie sie die Welt noch nicht gesehen hat.


Am Freitag, 13. Juni 1900, verprügelt der deutsche Botschafter Baron Clemens von Ketteler einen der Boxer, als diese mit Messern vor der deutschen Botschaft aufgetaucht waren. Der Boxer wird verhaftet, der Kampf eskaliert: Chinesische Christen werden erschlagen, Geschäfte geplündert. Am 20. Juni wird Baron von Ketteler vom chinesischen Korporal En Hai nach einem Besuch im chinesischen Außenministerium auf der Straße erschossen. Kettelers Tod bildete den Anlass für verstärkte militärische Intervention durch ein gemeinsames Expeditionskorps aus Truppen mehrerer Großmächte in China:
Sechs europäische Staaten sowie die USA und Japan stellen ein zweites internationales Expeditionskorps für eine Intervention in China zusammen.
Kaiser Wilhelm II. hatte unverzüglich auf den Vorschlag einer gemeinsamen Militäraktion europäischer Staaten reagiert, weil sich in diesem Rahmen die verstärkte Rolle des Deutschen Reiches in der Weltpolitik demonstrieren ließ. 
Zu seiner Genugtuung konnte er erreichen, dass dem ehemaligen deutschen Generalstabschef Feldmarschall Alfred Graf von Waldersee der militärische Oberbefehl über dieses gemeinsame Expeditionsheer übertragen wurde. Bei der Verabschiedung eines Teils der deutschen Truppen am 27. Juli hielt Wilhelm II. seine berüchtigte Hunnenrede. (Siehe oben).

Am 15.8.1900 besetzten westliche Truppen die Verbotene Stadt in Peking. Der Aufstand ist beendet. China muss für Jahrzehnte Reparationen bezahlen. Der Kampf gegen die Ausländer ist gescheitert.


Deutscher Soldat in Peking 1901 nach getaner Arbeit

Deutsche Brauerei in Tsingtau/Qingdao (seit 1903)

  ________________________________________________

Keine Kommentare: