Montag, Dezember 29, 2014

Auch Philosophen können irren. Von der Hoffnung, der Zukunft, Hijackern, dem Christentum, Prof. Markus Gabriel und Ernesto Cardenal

Markus Gabriel ist Professor für Erkenntnistheorie und Philosophie (der Neuzeit) in Bonn. Vor Weihnachten hat er der taz ein Interview gegeben zum Thema Hoffnung. Da steht viel Kluges und Interessantes drin - wie es sich für einen Prof gehört.
Nur beim Thema Christentum schwächelt er etwas -
was wiederum angesichts des real existierenden Kirchenchristentums verständlich ist, aber dadurch wird es auch nicht richtiger. So sagt Prof. Gabriel z.B.: 
Das Christentum ist kein Denken der Hoffnung – sondern der Versuch, die Hoffnung zu ersticken durch die Notwendigkeit des Realistischen.

Natürlich ist Christentum "Denken der Hoffnung".
Was denn sonst?
Es ist eschatologisches Denken, Nach-Denken über die Zukunft. Nur ein kleines Beispiel aus einem zentralen christlichen Text (dem Vater unser, dessen Text angeblich von Jesus aus Nazareth selber stammen soll):
"Dein Wille geschehe - wie im Himmel so auf Erden".  - "Erde" das ist die Gegenwart, "Himmel" das ist die Zukunft. Kein Ort im Weltall. Die zentrale Hoffnung des Christentums ist, dass die Menschen das Leben auf der Erde nicht zur Hölle machen werden. Und damit das nicht geschieht, sollen die Christen bitte mithelfen. Die Hoffnung ist: "Der Himmel geht über allen auf".

Himmel und Erde
(nach Uromas Art)
Ja, sagt Prof. Gabriel, aber: 
Ja, aber man muss sehen, was Hoffnung da heißt: Bei Paulus ist es die Hoffnung darauf, dass die weltlichen Zustände aufhören. Jesus sagt: Übermorgen bin ich wieder da – nicht in zigtausend Jahren am Ende der Geschichte, sondern übermorgen. Hoffnung ist im Christentum insofern erst einmal die Zuversicht genau darauf. Und dann kommt die Enttäuschungserfahrung: Alle warten, und nichts passiert. Schließlich liest man Paulus so: Du sollst Hoffnung haben auf eine immer ausstehende Endzeit. Und in der Moderne hat das Christentum dann eben behauptet, die Hoffnung verdankt ihr mir …
Ja, aber muss man dazu sagen.
Die ersten Christen haben in der Tat geglaubt, dass Jesus bald wiederkehren wird. Vielleicht nicht übermorgen, aber die meisten von ihnen waren überzeugt, dass sie die Wiederkehr noch persönlich erleben werden: "Nah-Erwartung" oder "Parusie". Zeitlich nahe sollte JvN wiederkommen.
Daraus wurde aber wohl (offensichtlich erst einmal) nix. Das nennt man "Parusie-Verzögerung". Es dauert noch.
  • Also dachten einige der ersten Christ_innen: JvN ist wohl doch nicht der richtige Messias, wir haben uns vertan.
    Und daher stand folgerichtig unter dem Kreuz Jesu von seinen insgesamt zwölf Jüngern/Schülern auch nur noch ein einziger: Johannes, sein Lieblingsjünger...
    Der Rest waren Frauen, u.a. die Mutter. Selbst vom Pflege- Vater ist nicht die Rede.
Jesus und Johannes
(Alexander von Agoston)
  • Andere dachten: Dann kommt er halt später wieder, wir müssen etwas geduldig sein. Und es soll Christ_innen geben (evangelikale, pietistische, fundmantalistische....), die noch heute darauf warten, dass JvN endlich wieder erscheint - so wie es auch Juden und Jüdinnen gibt, die noch heute darauf warten, dass der richtige Messias kommt; denn Jesus war ja für das Judentum schon immer der falsche Messias.
    Ich vermute, diese Erwartung ist in beiden Religionen eine Minderheit, man findet sie z.B. bei den Zeugen Jehovas und anderen christlichen Abspaltungen:
"Das Zweite Kommen Jesu"-
(wie es sich christliche Splittergruppen vorstellen).
Die evangelische Theologie 
lehrt seit 150 Jahren anderes, (auch wenn man es von den meisten Kanzeln selten hört, da in manchen Gemeinden die Minderheit der fundamentalistischen Christ_innen eine starke und lautstarke Gruppe bilden).-
  • Kurz gesagt: Es besteht sehr wohl Hoffnung, aber diese Hoffnung ist keine passive (da erscheint dann kein Messias vom Himmel und bringt alles in Ordnung; weder übermorgen noch in 1000 Jahren).
    Das Stichwort heißt "Nachfolge": Die Menschen müssen selber etwas dazu beitragen, dass die Hoffnung nicht stirbt; nämlich zum Beispiel dem Leben Jesu nachfolgen.
 

Bemerkenswert ist dabei der sog. "eschatologische Vorbehalt".
Damit ist gemeint, dass sich kein Mensch einbilden sollte, er wisse genau, wie der Himmel auf Erden zukünftig auszusehen habe oder dass es menschenmöglich sei, einen Himmel auf Erden überhaupt zu schaffen. - Letzteres bleibt im Christentum Gott vorbehalten. - Aber dieser Vorbehalt ist ja nur ein Bild, das besagt: Die Menschen können und werden zwar kein Paradies auf Erden schaffen, aber sie können versuchen, in diese Richtung zu arbeiten. Dass das Leben auf der Erde nicht zur Hölle wird. -
Das ist dann vielleicht das, was Prof. Gabriel als "pragmatisch" bezeichnet. Dieser Vorbhalt schützt vor menschlicher und christlicher Hybris.
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 Prof. Gabriel, der auf das Christentun nicht gut zu sprechen ist, fährt fort: 
Hier in Deutschland hat sich das Christentum so festgefressen, als gäbe es neben der Demo- auch noch eine Theokratie – Bundespräsident Theologe, Christentum im Titel der Regierungspartei. Bei uns herrscht eine extrem weichgespülte Vorstellung vom Christlichen. Vielleicht wäre es besser, wenn wir eine Debatte darüber hätten, was das Christentum wirklich sagt: Zum Beispiel, dass man Homosexuelle töten soll, Levitikus 20:13.
Unfug!
Natürlich gibt es Leute im Christentum, die Worte der Bibel wörtlich nehmen, die an die Verbal-Inspiration der biblischen Autoren (und Autorinnen?) glauben (siehe oben). Da kann man dann wohl nicht machen. Aber das ist nicht Lehre des Christentums.
Vielleicht würde Prof. Gabriel anders über "das Christentum" denken, wenn er sich ein bisschen mehr auch mit Theologie befassen würde, zumindest mit der ab dem 19. Jahrhundert so wie mit der Kirchen- und Dogmen-Geschichte... Wenn "das Christentum" 
die vielen Vorschriften der 5 Bücher Mose heute noch wörtlich nehmen würden, wären die Friseure arbeitslos (denn der Gläubige soll sich die Haare nicht schneiden) und die Christ_innen kinderlos (denn die Söhne, die den Eltern widersprechen, müssten gesteinigt werden).

Beliebter Scherz (nicht von Prof. Gabriel, sondern von Dr. Laura Schlessinger):
"Ich habe einen Nachbarn, der stets am Samstag arbeitet.
Exodus 35:2 stellt deutlich fest, daß er getötet werden muß.
Allerdings: bin ich moralisch verpflichtet ihn eigenhändig zu töten?"
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Die Interviewer der taz entgegnen Prof. Gabriel:
Die Befreiungstheologie sieht das ja ganz anders. Dort heißt es: Lest die Bibel, und ihr habt eine Anleitung zur Rebellion.
Prof. Gabriel:
Das wird so gesehen, ja. Aber auch das ist Folge sehr vieler Hijacking-Prozesse. Das Christentum springt auf Bewegungen auf, wie es schon im Entstehen aufs Judentum aufsprang, und nutzt das bis heute als eine extrem erfolgreiche Strategie.
Flotter Spruch: Christentum als Hijacker. 
Auch wieder nicht ganz falsch, das Christentum hat das Judentum entführt. Kann man so sehen: Jesus war Jude, seine 12 Jünger waren Juden, Paulus war Jude. Sie wollten das Judentum nicht entführen, verändern, hijacken. Wenn man sie allesamt einzeln gefragt hätte, diese ersten Christen: "Was ist deine Religion?" Dann hätten sie alle geantwortet: "Ich bin Jude". -
Aber die Leitung des damaligen Judentums in Palästina war darüber not amused. - Sie haben Jesus und seine Anhänger als Sekte ausgeschlossen und verfolgt. Und einer der fanatischsten Christenverfolger war ja Paulus, der später zum christlichen Apostel der Völker wurde.  -Die größten Kritiker der Elche waren bekanntlich früher selber welche ....

Hijacker Paulus von Tarsus, Apostel der Völker,
auf dem Petersplatz in Rom.
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Ernesto Cardenal (Dichter, Katholischer Theologe, Freiheitskämpfer, Kulturminister Nicaraguas a. D.)

„Revolution". Oder: Eine andere Welt ist möglich. 
Eine bessere Welt, in der wir alle besser sein werden.

Der Text ist einer Rede entnommen, die der fast 90jährige Dichter und Politiker Ernesto Cardenal anlässlich der Verleihung des Theodor-Wanner-Preises des Institutsfür Auslandsbeziehungen am 25. Juni 2014 in Berlin gehalten hat. 
»...Wie der australische Theologe Denis Edwards sagt, ist unser Planet, die Erde, eine einzige biologische Gemeinschaft, ein in sich verbundenes System.
Und wie der Italiener Enzo Tiezzo sagt, kann es keinen Schutz der Umwelt ohne soziale Gerechtigkeit geben. Die Armen, die sich keinen elektrischen Strom leisten können, müssen Brennholz schlagen und tragen so immer mehr zur Abholzung der Wälder bei.

Tatsächlich ist die menschliche Art heute eine Art, die vom Aussterben bedroht ist. Und das ist letztendlich der fehlenden Gerechtigkeit auf Erden geschuldet. Gerechtigkeit - das ist vor allem ein theologischer Begriff und ein sehr biblischer Begriff.
 
Gerechtigkeit, gerecht, Gericht, Rechtfertigung, alle diese Begriffe haben den Sinn von Befreiung.
„Das Buch der Richter" im Alten Testament spricht nicht von den Richtern eines Gerichts, sondern vielmehr sind alle, die dort „Richter" genannt werden, Guerilleros der Befreiung. Gerechtigkeit steht in der Bibel für Befreiung. Das jüngste, das „letzte" Gericht ist die ultimative und definitive Befreiung.

Dabei scheint mir der Begriff „Befreiungstheologie" schlecht gewählt zu sein. Man würde besser verstehen, was sie bedeutet, wenn man sie „Revolutionstheologie" nennen würde. Für die lateinamerikanischen Bischöfe, die damals diesen Begriff wählten, war das Wort "Revolution" wohl zu deutlich und deshalb benutzten sie diesen Euphemismus, der jedoch letztendlich dasselbe sagen will.

Wenn wir aber diese Theologie „Revolutionstheologie" nennen würden,
dann würde niemand fragen, worin sie besteht, denn jeder versteht das Wort „Revolution". Sowohl diejenigen, die dafür, wie diejenigen, die dagegen sind. Und niemand würde fragen, weshalb die Päpste Johannes Paul II. und Benedikt XVI. gegen diese Theologen waren, weiß doch jeder, dass diese beiden Päpste gegen jegliche Revolution gewesen sind.
Dies ist auch die eigentliche Theologie des Evangeliums, das ein Evangelium der Befreiung war.
Das Wort „Evangelium" ist ja kein spanisches oder deutsches Wort, sondern stammt aus dem Griechischen und bedeutet „gute Nachricht" für die Armen, die Nachricht ihrer Befreiung. Was dasselbe ist wie Revolution. Zur Zeit Jesu bedeutete der Begriff „Reich Gottes" dasselbe wie das Wort „Revolution". Oder: eine andere Welt ist möglich. Eine bessere Welt, in der wir alle besser sein werden.

Die Bibel spricht von der Rettung auf dieser Erde,
sie redet nicht davon, dass wir auf einem Planeten inmitten einer Galaxis leben, inmitten von Milliarden von Galaxien. Doch heute wissen wir davon. Und wollen deshalb Gott darum bitten, dass sein Wille geschehe - sein Reich komme - im Himmel und in allen Galaxien.«
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Mensch sein heißt,
Utopien zu haben.
Paul Tillich; protestantischer Theologe (1886-1965)

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