Mittwoch, April 20, 2016

Es war einmal in Nicaragua - Das letzte Sehnsuchtsland deutscher Revolutionäre



"Es war einmal in Nicaragua. -Das letzte Sehnsuchtsland deutscher Revolutionäre"
So hieß die Veranstaltung im Rahmen des taz-lab 2016 im Haus der Kultuten der Welt in Berlin am 2. April 2016 um 18.45 Uhr.

Die Ankündigung:

"Im Sommer 1979
siegte die linke FSLN-Guerilla nach Jahren heftiger Kämpfe in Nicaragua über das Somoza-Regime – der Beginn der deutschen Nicaragua-Solidarität.
Mit dem Sieg der Sandinisten richteten sich die Hoffnungen vieler Linker – nicht nur auf dem amerikanischen Kontinent, sondern auch in Europa – auf ein kleines Land in Mittelamerika. Dort sollte sie gelingen, die gute, die gerechte, die wahre Revolution. Aus der Bundesrepublik brachen ganze Brigaden auf, um an ihrer Verwirklichung mitzuwirken. In der DDR gründete die junge Opposition unter dem Schutz der Kirche mit Begeisterung Nicaragua-Gruppen. Der Zusammenprall von Utopien der Ersten Welt mit den Verhältnissen in einem Entwicklungsland führte zu Missverständnissen, aber auch manchen kleinen Erfolgen – und vielen bizarren Situationen. Wir erinnern uns und fragen, warum die Revolution der anderen immer die bessere ist."
(Quelle
  Die Referierenden:
  • Karim Saab, (links im Bild), Journalist und ehemaliges Gründungsmitglied der Nicaragua-Gruppe in Leipzig. Karim Saab, Jahrgang 1961, stammt aus Heidelberg und war schon früh in der Nicaragua-Solidaritätsbewegung aktiv.
  • Stefanie Senger, (zweite von rechts), Historikerin am Zentrum für Zeithistorische Forschung Potsdam.Stefanie Senger, Jahrgang 1986, ist Doktorandin am Zentrum für Zeithistorische Forschung im Potsdam und forscht dort zu Nicaragua.
Moderation: Katharina Döbler, Redakteurin Le Monde diplomatique.Katharina Döbler, Jahrgang 1957, ist Redakteurin bei "Le Monde diplomatique".



Stefanie Senger schreibt seit November 2013 an ihrer Doktor-Arbeit zum Thema:
"Reiz der Revolution. Das sandinistische Nicaragua und die deutschen Solidaritätsbewegungen in Ost und West (1979-1990)".
Sie habe bisher ca. 10.000 Dokumente aus dieser Zeit studiert,  und ihre Arbeit werde etwas 400 Seiten umfassen berichtete sie auf der Veranstaltung.
Schon ihre Magister-Arbeit an der Uni Potsdam befasste sich mit einem verwandten Thema:
„Sozialdemokratie und nationale Befreiungsbewegung: Unterstützung für die FSLN als Produkt transnationaler Verflechtungen" (Quelle)
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ZeitzeugInnen gegen HistorikerInnen?

Natürlich gibt es auf solchen Veranstaltungen auch Streit - und wenn man Glück hat: "Lust an der Differenz". Zwischen den ZeitzeugInnen, die "damals" dabei waren und nun neugierig im Auditorium sitzen und wissen wollen, was die Historie denn heute sie zu berichten hat. Und der Historikerin (*1986), die damals, zur Zeit des Volksaufstandes 1979 in Niacaragua, noch nicht einmal geboren war, aber 10.000 Dokumente studiert hat, dadurch den Überblick hat, der den VeteranInnen fehlt, und dadurch natürlich besser weiß, wie es damals wirklich war.

"Arbeits-BrigadistInnen" 1986 in Nicaragua
Siehe auch:
Hoffnung für Nicaragua-Wandbild ("Mural") aus dem Jahre 1985 am Monimbo-Platz in Berlin

Dem taz.lab 2016-Motto "LUST AUF DIFFERENZ" folgend, war Stefanie Senger vielleicht einen Tick zu süffisant in ihrem Beitrag:

Die deutschen "Arbeits-BrigadistInnen" konnten zwar gut bauen, sagte sie, (z.B. Schulgebäude, Hütten für Binnen-Füchtlinge (s. Foto), Latrinen, aber: Bei der Erntehilfe seien sie nicht besonders effektiv gewesen (stimmt wohl, denn erst Übung macht die Meisterin), und die Deutschen HelderInnen hätten wohl auch übersehen, dass es in Nicaragua im Winter regnet, dass die Latrinen dann mit Regenwasser volllaufen, dann überlaufen ....

Spott hatte sie auch für die BrigadistInnen aus der autnomen Szene Deutschlands übrig, die morgens freiwillig um 5 Uhr zum Fahnen-Appell aufstanden, die Hyme sangen und dann im Gleichschritt zur Arbeit marschierten. Angeblich. - Es steht wohl so in einem der 10.000 Dokumente (die sicher auch z.T. von der Konrad-Adenauer-Stiftung stammen?). Irgendwo und irgendwann wird es sicher auch so gewesen sein. Doch manchmal kann die halbe Wahrheit auch die ganze Lüge sein.

Ebenso umstritten waren die Äußerungen der angehenden Historikerin Senger über Dr. Ernst Fuchs, den erfolgreichen Berliner Neurochirurgen, der seine erfolgreiche Karriere in Berlin abbrach und  als eine Art Che Guevara nach Nicaragua ging, um dort die sandinistischen RevolutionärInnen medizinisch zu betreuen. - Senger bezeichnete ihn als frustrierten und desillusionierten linken 1968er, der aus seiner Frustration heraus zum Kämpfen nach Nicaragua gegangen sei. - Das rief natürlich Widerspruch bei Bekannten und FreundInnen von Dr. Fuchs (alias Carlos Vanzetti) hervor, die im Publikum saßen. -

Da war vom "LUST an der Differenz" im Raum K2 im Haus der Kulturen der Welt in Berlin wenig zu spüren.
"Ich erinnere mich übrigens noch gut, wie ich damals, in den 1980er Jahren, in Nicargua in meiner Hängematte in der Hospedaje (Herberge) lag und manchmal vor Lachen aus der Hängematte fiel, wenn ich die angeblich authentischen Berichte (besser: Dichtungen) der Konrad-Adenauer-Stiftung und/oder der FAZ über die internationale Bewegung der Aufbau-HelferInnen ("Sandalistas") und deren Tätigkeit in Nicaragua zwischen 1979 und 1990 las."
(Ein Nicaragua-Veteran)

Ok. Die 400 Seiten Dissertation werden vielleicht/wahrscheinlich/hoffentlich differenzierter sein als als der komprimierte Beitrag von Frau Senger im taz.lab 2016... . _____________________________________

Und was ist aus dem Sehnsuchts-Land der RevolutionärInnen heute geworden?



Auf einer Geburtstagsparty im Jahre 2016: 
Die ersten Gäste treffen ein. Small-Talk:
„Ah, du bist doch der … . Der was mit Nicaragua zu tun hat. -
Nicaragua ist doch der neue Geheim-Tipp als Urlaubsland: Alles vorhanden, - und noch gar nicht so überlaufen, hörte ich: 
Schöne Natur, Meer, Urwald, Vulkane, Berge, Strände, neue Straßen, prima Hotels. Und was mit Kanal.
Das Land soll sehr übersichtlich sein. Und viel sicherer als andere Länder in der Gegend.
Wer regiert da noch mal? Daniel Ortega? Ortega – War da nicht was mit Revolution?
Ach! Das ist immer derselbe Präsident wie damals bei der Revolution?
Nein? Das ist nicht derselbe wie damals bei der Revolution? Ja und Nein? Ja was denn nun? –
Oh, da kommen ja schon neue Gäste. – Dann bis nachher vielleicht mal… .“



Nicaragua setzt auf Tourismus.  (Quelle)

Ja, da war was mit Revolution (1979). Und der heutige Präsident Daniel Ortega ( * 11.11.1945) war in der Tat schon Ende der 1970er Jahre einer der Comandantes des Revolution (dritter von links)


und der Mann, der den US-Präsidenten Reagan rot sehen ließ: 


Daniel Ortega auf dem Time-Magazin 31. März 1986.

Des-Illusionierung

1979 stürzten Ortega und andere FSLN - (= "Sandinistische Befreiungsfront") Mitglieder unter der militärischen Führung seines Bruders Humberto Diktator Anastasio Somoza Debayle; 
ab Juli 1979 regierte Ortega Nicaragua als Kopf einer Regierungsjunta (erster von links).

" Es war die Zeit, in der junge Leute in abgelegene Dörfer zogen, um Kindern und Alten das Alphabet beizubringen; die Analphabetenquote sank von über 50 auf um die 10 Prozent. Schulen und Gesundheitsposten wurden gebaut, es gab eine Landreform, aus den riesigen Gütern Somozas wurden landwirtschaftliche Produktionsgenossenschaften. Frauen bekamen zum ersten Mal nennenswerte Rechte, im katholisch geprägten Nicaragua wurden Schwangerschaftsabbrüche legal. Tausende Brigadisten aus Europa und den USA strömten ins Land, um sich bei der Kaffeeernte oder auf dem Bau nützlich zu machen." (Toni Keppeler a.a.O.) 

Von 1985 bis 1990 war Ortega Staatspräsident von Nicaragua. 
In den 16 Jahren zwischen Februar 1990 und 2006 regierten neoliberale Regierungen in Nicaragua. 

"Es begann die Epoche des Wirtschaftsliberalismus unter Präsidentin Violeta Chamorro. Im Bildungsbereich wurde gespart, die Analphabetenrate schoss wieder nach oben, und auch die öffentlichen Krankenhäuser bekamen kein Geld mehr, oft nicht einmal für Verbandsmaterial. [...] Während der Regierungszeit des korrupten rechten Präsidenten Arnoldo Alemán (1997 bis 2002) wurde es besonders schlimm. 1998 streikten die Ärzte des staatlichen Gesundheitswesens für bessere Gehälter. Sie verdienten damals umgerechnet rund 100 Dollar im Monat." (Toni Keppeler)
Am 5. November 2006 gewann Ortega dann im ersten Wahlgang mit 38 % der Stimmen erneut die erforderliche Mehrheit, um zum Präsidenten gewählt zu werden. 2011 wurde er wiedergewählt.
 
PKAN DES GUTEN REGIERENS 2016.
"Zusammen arbeiten wie in einer großen Familie"
Anfang 2014 gelang Daniel Ortega, was dem kolumbianischen Präsidenten Evo Morales Anfang 2016 nicht gelang:
In Nicaragua wurde auf Ortegas Veranlassung das Verbot der Wiederwahl aus der Verfassung getilgt. – ·


Im November 2016 wird in Nicaragua wieder gewählt
 und Ortega - dann 71 oder 72 Jahre alt - möchte noch einmal zum Präsidenten gewählt werden.



Die Familie Ortega hat in den vergangenen Jahren 3 Fernsehsender des Landes aufgekauft. 
Davon unabhängig hat ein wirtschaftlicher Konzentrationsprozess im Fernseh- und Radiobereich, hinter dem der mexikanisch-amerikanische Medienmogul Angel González steht, weitreichende Folgen. Die von ihm kontrollierten Medien strahlen rein kommerziell ausgerichtete Programme aus. „Canal 12“ ist der einzig verbliebene Fernsehsender, der sich auf anspruchsvollem Niveau kritisch mit den politischen und sozialen Fragen des Landes auseinandersetzt. [auswärtiges-amt.de]

Toni Keppeler (a.a.O) schreibt:
"Heute gibt es das, was Ortega und Murillo [die Gattin von Daniel Ortega] Demokratie oder die „Herrschaft des Volks“ nennen, und schon etwas eigenartig ist. 
Der Präsident hat eine komfortable Mehrheit im Parlament sowie die Wahlkommission und das oberste Gericht unter seiner Kontrolle.
Laut Verfassung müsste er längst abgetreten sein, denn die lässt höchstens zwei Amtszeiten und keine direkte Wiederwahl zu. 
Ortega aber wird mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit im November 2016 zum vierten Mal ins höchste Staatsamt gewählt. Er hat das Wahlrecht so geändert, dass ihm 35 Prozent der Stimmen für einen Sieg reichen und die zerstrittene Opposition kaum den Hauch einer Chance hat. Und er hat das Verfassungsgericht urteilen lassen, dass die in der Verfassung verankerte befristete Amtszeit gegen seine Bürgerrechte verstößt. So tritt er wieder und wieder an.
Ortega lässt die großen Unternehmer schalten und walten, 
wie sie wollen, und wird deshalb von ihnen geschätzt. Er speist gern mit seinem einstigen Feind, dem reaktionären Erzbischof Miguel Obando y Bravo. Zur Versöhnung hat er ihm ein Gesetz geschenkt, das Abtreibung unter allen denkbaren Umständen verbietet. 
1990: Kardinal Obando y Bravo (links) mit Präsidentin Violeta Chamorro (rechts)

2016: Daniel Ortega, Obando y Bravo, und Ortegas Gemahlin Rosario Murillo
 Die handzahme katholische Kirche ist vielleicht die einzige Institution, die neben dem Präsidenten und seiner Frau noch nennenswerten Einfluss auf das Denken der Nicaraguaner hat. Ansonsten hat Ortega zusammen mit seiner Familie ein Imperium aus Radiosendern, Fernsehstationen und Werbeagenturen geschaffen, über das die omnipräsente Rosario Murillo gebietet.
In seiner Partei, der Sandinistischen Befreiungsfront (FLSN), kann Ortega schon lange nicht mehr infrage gestellt werden. Seit Jahren fand kein Parteitag mehr statt, die Gremien tagen nicht. Die Parteilinie wird vom Präsidentenpaar entschieden und Rosario Murillo hat längst die alten Kader kaltgestellt. Sie setzt auf die Jugend, die sich mit der Hoffnung auf einen Job im Apparat ködern lässt. "

Toni Keppeler, 1956 geboren. Hat beim Schwäbischen Tagblatt in Tübingen Journalismus gelernt und dort als Redakteur fast zehn Jahre lang ausgeübt. Vier Jahre Journalismusprofessor an der Zentralamerikanischen Universität in San Salvador. Acht Jahre Korrespondent für Mittelamerika und die Karibik für taz (Berlin) und Weltwoche (Zürich). Vier Jahre Auslandsredakteur beim Schweizer Nachrichtenmagazin Facts. Von 2006 bis 2009 bei der Reportage-Agentur Zeitenspiegel, zuletzt als Mitglied der Geschäftsführung. Dozent an der Zeitenspiegel-Reportageschule Günter Dahl in Reutlingen und der Burda Journalistenschule in Offenburg. 1987 Theodor-Wolff-Preis. 2010 Mitgründer von latinomedia - Büro für Journalismus. Betreut seither das latinomedia-Büro Tübingen und pendelt zwischen Deutschland und Lateinamerika. 

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Ist Ortega schon etwas debil und seine Frau Murillo skurril? 
So sieht es manch Eine*r

Vielleicht ist ja alles ganz anders?
  • Ortega und Gattin gehen auf Schmusekurs mit ihrem Erz-Feind Erzbischof Kardenal Obando y Bravo (der von Papst Johannes Paul II zum Kardinal befördert wurde, um Daniel Ortega, Ernesto Cardenal und andere Sandinist*innen zu ärgen) und der katholischen Kirche, verschärfen die Abtreibungsgesetzte und lullen so den Widerstand der katholischen Kirche ein.
  • Pragmatisch verfolgen sie (Daniel und Rosario) mit dem Geld aus Venezuela bzw. künftig mit dem Geld aus der Volksrepublik China ihre ursprünglichen Ziele weiter: Jeder Mensch in Nicaragua soll ein Dach über dem Kopf haben (plan techo = Dach) und niemand soll hungern müssen (plan hambre tero = Null Hunger). 
  • Der US-Regierung zeigen sie eine lange Nase, indem sie im Hinterhof der USA die VR China einen Kanal durch Nicaragua bauen lassen als Konkurrenz-Projekt zum Pananma-Kanal - was die USA seit Jahrhunderten zu verhindern wussten. 
  • Schließlich ging Ortega bei Fidel Castro in die Lehre.
  • Und Präsident Obama, das Weichei, blickt das natürlich nicht. 
  • Und einen Kurs in Basidemokratie gab es in Kuba wahrscheinlich damals auch noch nicht. 

1895: Onkel Sam zerschlägt die Pläne
für den Bau eine Nicaragua-Kanals



Der Große Kanal. Chinas geostrategische Bombe,
die die Geschichte ändern wird?


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Und die BrigadistInnen und AktivistInnen der 1980er Jahre?

Sind heute, wie Daniel Ortega, der Comandante der Revolution von 1979 auch,  VeteranInnen und im Renten-Alter oder kuru davor.

Die HistorikerInnen werden sich auf eine Erzählung (neudeutsch "Narrativ") über das einigen, was zwischen 1979 und 1990 und 2016 geschehen sei; das wird man dann "Geschichte" nennen und so wird es in den Geschichtsbüchern in den Schulenzu lesen sein.
Schau`n wir mal. 

Quelle
"Sandalistas" wurden wegen ihres Schuhwerks
die Angehörigen weltweiter Solidaritätskomitees genannt,
die beim Aufbau eines neuen Nicaragua halfen"

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