Sonntag, Dezember 11, 2016

postfaktisch. Zahlen und Fakten sind echt langweilig. Von Freiburg, Flüchtlingen, Framing und dem Stern zu Bethlehem

Jaja, Zahlen sind echt ermüdend und langweilig.

Wenn ich - zum Beispiel - sonntagmorgens gemütlich im Sessel sitzend,
mit einer Tasse Kaffee, die Zeitung aufschlage und zum xten Male lese, dass gerade 60- oder 63-Millionen Menschen auf der Welt auf der Flucht sind, dann blättere ich um und schaue nach  interessanterer Morgenlektüre.

Wenn ich dann, in der Weihnachtszeit zum Beispiel, 
- auch zum xten Male - die Geschichte höre, wie Maria und Joseph mit ihrem Jesuskind anlässlich einer Volkszählung im römischen Imperium in Palästina in einem Stall übernachten - und kurz darauf von Bethlehem in Palästina nach Ägypten fliehen mussten, weil der örtliche Machthaber Herodes, alle neugeborenen Kinder umbringen wollte - dann, also dann komme ich schon etwas mehr ins Nachdenken. -
Obwohl das ja nur 1 (ein) Ehepaar war und nur 1 (ein) Baby. - Ja gut, es war ein besonderes Baby, so wie Baby Buddha oder Baby Cäsar oder Baby Alexander der Große oder Baby Clinton oder Baby Obama vielleicht. Oder Baby Trump? Oder Baby Mohammed?. - Deshalb erzählt man noch heute davon.

Manche sagen auch: Das Jesus-Baby war besonderer als alle anderen Babies zusammen. - (Aber diese Einschätzung würde ich jetzt nicht unbedingt teilen wollen. Und sowieso: Man weiß das ja auch immer erst hinterher, dass es ein besonderes Baby war. Also falls es nicht als Baby schon einem Mord oder einer Fassbombe zum Opfer fiel.)

Und ob die Fakten gut recherchiert waren? Man hat diese Geschichte nun seit Jahrhunderten nach-recherchiert. Und einige Unstimmigkeiten gibt es schon dabei. Aber das ist hier jetzt nicht das Thema. Es geht ums Postfaktische. Und ums Framing.

Verein und Broschüre


Wenn jetzt aber 1 (einer)  von diesen unbekannten ganz normalen 60-Millionen,
also ich meine, jetzt gerade, wo ich von meinem roten Lieblingssessel mit der Tasse Kaffe aufgestanden bin und es draußen arschkalt ist und ungemütlich - und es außerdem noch ein bisschen regnet statt schön zu schneien -
wenn also jetzt so ein nordafrikanisch aussehender 17-Jähriger von was-weiß-ich-woher bei mir klingeln würde und sagen, er sei ein in Syrien ausgebombter unbegleiteter Flüchtling und  wisse nicht ... -
Na. Dann ist die Sache mit den 60-Millionen plötzlich gar nicht mehr ermüdend langweilig. - Rein theoretisch hätte ja auch jeder von den 1 Millionen, die 2015 nach Deutschland kamen, sich einfach 1 Haustürklingel aussuchen und dann dort klingeln können. Vielleicht alle auf einmal, alle zur gleichen Zeit, an der einen Haustürklingel, die er - oder sie - sich ausgesucht hat. -
Das wäre dann ziemlich faktisch. Also, dann ist mir vielleicht doch lieber, die bleiben alle in Griechenland, oder besser noch in Syrien und lassen mich in Ruhe meine Zeitung lesen? Auch wenn meine Zeitung manchmal langweilige Sachen schreibt, die mich nichts angehen; dann kan ich ja umblättern.

Man nennt es wohl neudeutsch "Framing", 
wenn man die Zahlen und Fakten - auch die kleinen - in eine Geschichte einbettet, in eine Erzählung, so wie die mit Maria und Josef und dem Jesuskind, dem Stern zu Bethlehem, den Heiligen Drei Königen und so.  - Auch wenn diese Geschichte vielleicht postfaktisch ist. Legende. Mythos. Sie wirkt mehr als Zahlen und wenn sie - die Zahlen - noch so groß wären. Je größer sie sind, um so weniger kann ich sie mir sowieso vorstellen.

Und wie nennt man das,
wenn einer an der Tür klingelt? Naja, kommt ja zum Glück nicht vor.Vielleicht sollte ich morgen einen Aufkleber kaufen und an die Tür kleben: "Betteln und Hausieren" verboten. Aber ob es die auch in mehrsprachig gibt? Also zumindest in Englisch sollte es auch noch sein. Ich denke: arabisch und persisch wäre vielleicht auch nicht schlecht? Oder was spricht man da so? 

Ach ja,
als dieses im Nahen Osten gerettete Jesuskind, das ich oben erwähnte, älter wurde und so an die 30 Jahre als war ungefähr, da hat er selber auch Reframing gemacht. Also er hat eine Geschichte erzählt  - statt Zahlen und Fakten vorzutragen - die am Ende aller Tage spielt. In dieser Geschichte kommt, also am Ende aller Tage, am Jüngsten Tag, "der Menschensohn in seiner Herrlichkeit und alle Engel mit ihm, dann wird er sich auf den Thron seiner Herrlichkeit setzen. Und alle Völker werden vor ihm zusammengerufen werden und er wird sie voneinander trennen, wie der Hirt die Schafe von den Böcken scheidet."
Michael Wohlgemuth, um 1500 n.Chr.

Also ich will das jetzt nicht alles nacherzählen, Sie können es ja selber nachlesen. - Auf jeden Fall müssen eine ganze Menge Menschen, die "Böcke", am Schluss in die Hölle: "Weg von mir, ihr Verfluchten, in das ewige Feuer, das für den Teufel und seine Engel bestimmt ist!" (sagt "der Menschensohn" zu ihnen). Die wundern sich zwar darüber, dass sie verflucht sind und viele andere nicht. Aber die, die nicht in die Hölle müssen, wissen erst auch nicht genau, warum das jetzt so ist. Der "Menschensohn" in der Geschichte erklärt es ihnen dann, aber erst ziemlich am Schluss:
"Amen, ich sage euch: Was ihr für einen meiner geringsten Brüder getan habt, das habt ihr mir getan. Und Amen, ich sage euch: Was ihr für einen dieser Geringsten nicht getan habt, das habt ihr auch mir nicht getan. Und viele werden weggehen und die ewige Strafe erhalten, die Gerechten aber das ewige Leben."

Nun Gut, ist ja nur eine Geschichte.
Keine Fakten, keine Zahlen. Postfaktisch halt, "Post-Truth" vielleicht auch noch.
Wer "der Menschensohn" nun sein soll, weiß man postfaktisch auch nicht so genau. Manche meinen, das erwachsene Jesuskind habe sich selber damit gemeint. Andere sagen: Nein, nein, er meinte Gott wird sich al Richter auf den Thron setzen. Wieder andere sagen: Das ist doch ungefähr dasselbe, Jesus war doch Gottes Sohn. - Nun ja: JedeR kann ja glauben was er/sie will. Denn:Noch leben wir ja in einer liberalen und pluralen Demokratie. Freedom und Democracy haben wir ja schließlich hier in Deutschland. (Deshalb müssen wir ja auch aktuell nicht fliehen und können zuhause im Sessel sitzen und lesen.)

Was ich aber trotzdem ganz tröstlich finde an diesem Framing:
Der Menschensohn sagt: "Was ihr für EINEN" ... getan habt. Der Satz des Jesuskindes ist zwar politisch nicht korrekt, denn es/er hätte sagen sollen: "Was ihr für einen oder eine getan habt ...". - Aber bemerkenswert er ist: EIN Einziger? Das würde man ja eventuell im Notfall noch irgenwie irgendwas hinkriegen. 1 statt 60.000.000. - Im Notfall!

Broschüre als pdf
Oder auch:
Quelle

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