Donnerstag, November 02, 2017

Von der Rettung des Abendlandes und der Zerstörung des Morgenlandes

Was als Abendland definiert wurde, änderte sich im Laufe der Zeit immer wieder. Ebenso wie sich im Laufe der Geschichte immer wieder änderte, wie Europa abgegrenzt wurde.


Der Satz "Geschichte ist die Lüge, auf die man sich geeinigt hat" wird mal Napoleon Bonaparte mal dem französischen Philosophen Voltaire zugeschrieben.
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Nach 1945, so schreibt Volker Weiß (siehe unten - in Bezugnahme auf den deutschen Historiker Axel Schildt ) habe der Begriff des Abendlandes zunächst - trotz seiner widersprücklichen Traditionen und Deutungsvarianten im Laufe der Jahrhunderte - eine große integrative Kraft besessen. NationalsozialistInnen und der Widerstand gegen den Nationalsozialismus gebrauchten  den Begriff Abendland als gemeinsamen Kampfbegriff gegen den Bolschewismus in der Sowjetunion und im eigenen Land. (Weiß, a.a.O. S.175) Im Kalten Krieg wurden dann auch die USA dem Abendland zugeschlagen. Erst ab Mitte der 1960er Jahre sei dann die Vorstellung vom Christlichen Abendland durch den säkularisierten/verweltlichten Begriff Europa abgelöst worden. 


Auch der deutsche Erzähler Thomas Mann (* 6. Juni 1875 in Lübeck; † 12. August 1955 in Zürich, Schweiz) benutzte nach 1945 noch gerne das Wort Abendland, z.B. sprach er für die Zeit nach 1933 und auch noch für die Jahre nach 1945 von einer "faschistischen Epoche des Abendlandes". (In: Nietzsches Philosopie im Lichte unserer Erfahrung, GW IX, S. 702)

Über alle Zeiten hinweg, so der deutsche Soziologe Richard Faber, sei der Begriff Abendland stets benutzt worden um zu polarisieren. Der Begriff wurde immer wieder als "politischer Kampfbegriff" benutzt, um sich gegen einen zeitgenössischen Gegner - z.B. den Orient, den atheistischen Bolschewismus, die barbarisch und despotische Bedrohung durch Russland,  ... - abzugrenzen und wurde dementsprechend zu verschiedenen Zeiten jeweils zum ausgesuchten Gegner passend neu definiert. (Weiß a.a.O., z.B. S. 177 und 179)

Derzeit sind bei PEGIDA, die "das Abendland" verteidigen wollen, "der" Islam und die Flüchtenden der zeitgenössische Gegner. 

In der Geschichte war "der" Islam eher nicht der Gegner, siehe oben. -  Wenn es gegen den das Morgenland/den Orient ging, dann ging es auch schon mal gegen das christliche Byzanz. 
Oder das christlich-katholische Frankreich zog zusammen mit dem christlich-anglikanischen England und dem muslimischen Osmanischen Reich Seit` an Seit` gegen Russland: So geschehen im Krimkrieg 1853-1856. "Das türkische Kalifat galt bei seinen Unterstützern als aufklärungswillig und modernisierungsfähig, während man dem [christlich-] orthodoxen Zarenreich diese Tugenden absprach. In Großbritannien, führt Figes aus, existierte Mitte des 19. Jahrhunderts eine romantische Sympathie für den Islam als grundsätzlich wohlmeinende und fortschrittliche Kraft [...]." (Zit. nach Weiß S. 178; s.a. Orlando Figes, [britischer Historiker]:  Krimkrieg, 2011)
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Quelle
In Deutschland assoziieren wir mit Abendland vielleicht auch das deutsche Volkslied Abend wird es wieder (Text von Hoffmann von Fallersleben, 1837, Melodie Johann Christian Heinrich Rinck). 

Abend wird es wieder:
über Wald und Feld
säuselt Frieden nieder,
und es ruht die Welt.


Nur der Bach ergießet
sich am Felsen dort,
und er braust und fließet
immer, immer fort. [...]

Die Verwendung des Wortes Abend-Landes vermittelt emotional den Abend, das Säuseln, den Frieden, die Ruhe: Das, was man sich in unruhigen Zeiten wünscht. WIR wollen Ruhe und Frieden, sehnen uns nach Ruhe und Frieden.
ABER "MAN" lässt UNS ja nicht in Ruhe und Frieden, wir haben einen Gegner, der uns das nicht gönnt oder der unverdient an unserer Ruhe und unserem Frieden teilhaben will. - Da müssen wir uns doch wehren, oder?

Das ist die unterschwellige Botschaft.
So ist es. Ist es so?

"Für etwas anderes als Abgrenzung taugt der Begriff >christliches Abendland< nicht, er ist Kampf und Ausgrenzungsbegriff, eine völlig erfundene Fiktion. Er wird zur Manipulation benutzt, jetzt auch von einer [...] Bewegung, die ihre politischen Ziele mit Leidenschaftlichkeit vernebelt."


[Manfred Becker-Huberti, katholischer Theologe an der Philosophisch-Theologischen Hochschule Vallendar in Rheinland-Pfalz. Quelle ]

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