Freitag, Dezember 21, 2018

Amazon im Cyber-Valley in Tübingen? Vielleicht. - In New York: Nicht


New York: 
"Hey-hey, ho-ho, Amazon has got to go“ und – prägnanter – „Fuck off Amazon“: Diese Rufe waren seit Mitte November vergangenen Jahres immer lauter geworden in New York. Sie ertönten auf der Straße, in Kirchen und Synagogen, bei Kuratoriumssitzungen der staatlichen City University of New York, bei Versammlungen von Mieterinitiativen und Gewerkschaften und im Sitzungssaal des Stadtrats. [...]
Amazon wollte Milliarden in Long Island City investieren und kündigte an, dort 25.000 Arbeitsplätze entstehen zu lassen. Zugleich aber handelte der Konzern Steuernachlässe in Höhe von drei Milliarden Dollar aus sowie zusätzliche öffentliche Gelder in Form von Infrastrukturmaßnahmen, wie dem Bau eines Hubschrauberlandeplatzes. Es wären die höchsten Subventionen geworden, die New York je einem Konzern gezahlt hat. [...] Nach drei Monaten, hat er aufgegeben. Anfang Februar 2019 kündigte Amazon an, dass er das geplante neue Hauptquartier im New Yorker Stadtteil Long Island City nicht eröffnen werde. Begründung: die langfristige Unterstützung durch Politiker fehle.
[Der ganze Artikel und Quelle]
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Das Tübinger Cyber-Valley liegt auf einem Berg. Und dort, auf der Oberen Viehweide, wo schon lange kein Vieh mehr weidet, möchte (u.a.) Amazon ein Grundstück erwerben, um dort zu bauen und zu forschen.
"Ralf Herbrich, Leiter der weltweiten KI- [Künstliche Intelligenz] Aktivitäten des Amazon-Konzerns, war eigens nach Tübingen gekommen, um auf dem Symposium zu sprechen. Doch viel mehr als Allgemeinplätze über die Bedeutung der Kundschaft für Amazon hatte er nicht zu bieten. Kein Wort darüber, was Amazon konkret vorhat, wie das Unternehmen bei Kooperationsprojekten mit Patenten und Publikationspflichten umgehen will oder ob die Firma in Tübingen vielleicht sogar Steuern bezahlen wird." (Quelle: Schwäbisches Tagblatt 17.9.2018)





"
Quelle

  • Der Gemeinderat der Stadt hat Amazon ein Grundstück dort als Option reserviert.
  • Der Tübinger OB Palmer möchte den finanzstarken US-Konzern gerne in die Stadt holen.
  • Studierende halten aus Protest seit einiger Zeit [seit 29.11.2018] einen Hörsaal unten im Tal besetzt.
  • Die Universität duldet das und hat bisher nicht räumen lassen.
  • Statt dessen gab es erst einmal am 18. Dezember (2018) eine öffentliche Diskussion in einem rappelvollen Hörsaal 25 just über dem besetzten Hörsaal 21. 
  • Ohne diese illegale Besetzung hätte dieser Diskussions- und Informationsabend wohl nie stattgefunden. - Die Besetzung als notwendige Maßnahme zur Herstellung von Transparenz und Öffentlichkeit, bevor der Gemeinderat in Kürze eine weitere Entscheidung treffen will und muss.











 Was fragen und sagen die BesetzerInnen?
  • „Was soll die Uni Tübingen sein:die wissenschaftliche Legitimation für rückschrittliche, technokratische Ingenieursideologie – dafür steht Amazon –
  • oder eine Hochburg für fortschrittliche, kritische Wissenschaft? 
  • Gegen ersteres kündigen wir massiven Widerstand an.“ [...]
  • „Wenn Sie weiterhin mit Amazon zusammenarbeiten – einem Unternehmen, dessen Zukunftsvisionen zutiefst 
  • antidemokratisch, 
  • unsozial 
  • und totalitär sind –,
dann kommen wir nicht zusammen.“
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Wissenschaftsministerin vorgeführt
Die baden-württembergische Wissenschaftsministerin Theresia Bauer besuchte Cyber-Valley uns "ließ sich gestern vorführen" (schrieb das Schwäbische Tagblatt am 26.10.2018). ---
Ließ sich vorführen? Ja, "ließ sich vorführen, was die menschliche und künstliche Intelligenz [KI] schon alles zustande gebracht hat." [a.a.o.]
„Bis 2030 will China“, warnte Bauer, „die weltweit führende Nation für KI werden.“ [...] Zwischen den rein marktgetriebenen Silicon Valley-Unternehmen und dem autoritären chinesischen Modell müsse Europa einen eigenen Weg finden. „Wir werden keine Anstrengungen scheuen, das zu erreichen“, versicherte Bauer. [...] Tübingen zähle inzwischen zu den zehn wichtigsten KI-Standorten der Welt, meinte Prof. Bernhard Schöllkopf, Direktor am Max-Planck-Institut [MPI] für Intelligente Systeme und einer der weltweit angesehensten KI-Forscher. Zehn neue Forschungsgruppen habe man im Cyber Valley-Verbund etabliert, mit Peter Dayan einen absoluten Spitzenforscher nach Tübingen geholt (als Direktor am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik), und eine Research School geschaffen, die bei Studierenden so begehrt sei, dass nicht einmal jeder zehnte Bewerber genommen werde. [Quelle: a.a.O.] 
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Die Diskussion im Hörsaal

Die ForscherInnen weisen - wie die Ministerin - immer wieder darauf hin, dass u.a. die USA und China sowieso forschen.

Erstens:
Wenn "wir" (Europa, Deutschland, Tübingen ...) - zum Beispiel -  das autonome Auto nicht entwickeln, werden es die Anderen (USA, China, Indien vielleicht ...) trotzdem tun. Sie werden uns wissenschaftlich abhängen, "wir" werden in der weltweiten Forschung hinterher hinken. Und "wir" werden zudem wirtschaftlich abgehängt werden: Arbeitsplätze in der Wissenschaft, der Forschung, der Lehre, der Ausbildung, der Produktion, im Handel ... würden verloren gehen. --- Derzeit sei Tübingen ein weltweit führender Standort, was Maschinelles Lernen betreffe DER führende Standort in Deutschland, so Frau Prof. Ulrike Luxburg.  Industrie und Wirtschaft suchen händeringend Fachkräfte - Wir bilden sie aus, deshalb bekommen wir finanzielle Unterstützung von den Konzernen.  (Etwas Stolz auf Tübingen kann ebenso wenig schaden wie die Jobsicherung.)

Und Zweitens:
Man kann so viele praktische und gute Dinge mit der Künstlichen Intelligenz tun: Die ChinesInnen können mit ihrem "social scoring" und den vielen Kameras an jeder Straßenecke sehen, wer bei rot über die Ampel geht oder auf die Straße spuckt. Die Kameras können Gesichter erkennen und angeblich sogar die sexuelle Orientierung des dazu gehörigen Menschen; zumindest möchte man das gerne können. Außerdem:
  • Autos können alleine fahren; und wenn die KI [Künstliche Intelligenz] "robust" genug sein wird, dann kann das Auto auch lesen, ob auf dem Verkehrsschild Tempo 30 oder Tempo 70 steht; und das Auto könnte dann endlich unterscheiden, ob eine Frau in weißer Bluse gerade die Straße überqueren will oder ob der Wind nur eine weiße Plastiktüte über die  Straße weht, ob es bremsen muss oder Gas geben kann. 
  • KI kann Krankheiten in der Uni-Klinik besser diagnostizieren besser als der junge Assistenzarzt; denn Letzterer hat noch nicht viel Ahnung [Protest im Saal], der Algorithmus aber kennt unzählige Symptome aus der ganzen Welt und ist daher der bessere Diagnostiker und kann Vorschläge zur Diagnostik machen. 
  • Krebs könne besser erkannt werden. 
  • Die Welternährung könne verbessert werden, weil der Dünger gezielter und besser dosiert platziert werden könne, der Einsatz von Pestiziden verringert.
  • Medikamente können passgenauer verabreicht werden: Nicht mehr jede/r bekommt die gleiche Pille, sondern jede/r seine eigene persönlich zugeschnittene Dosis und den persönlichen Wirkstoff (personalisierte/individualisierte Medizin). 
  • ArbeitgeberInnen können jeder Person den genau auf sie zugeschnittenen Job anbieten, 
  • die Sparkasse kann die Kreditwürdigkeit des Kunden genauer einschätzen. Die bewaffnete Drohne kann zielgenauer treffen ... .
  • (Schritt für Schritt ins Paradies mit KI.)

Und Drittens:
Die Frage der Philosophie und der Ethik. Das können die in den USA nicht, und schon gar nicht China, Konfuzius hin oder her. China ist eine Diktatur, die USA sind nur an "Mach Geld, mach mehr Geld!" interessiert. Aber "wir" in Europa/Deutschland - okay: zumindest in Tübingen - haben einen freiheitlich-demokratischen Rechtsstaat, ein Weltethos-Institut und sind berühmt für unsere verstorbenen und lebenden PhilosophInnen (Ernst Bloch und so... . - Kurz gesagt: WIR sind die Guten.) - "Schade war, dass die militärischen und geheimdienstlichen Interessen an der KI-Forschung gar keine Rolle spielten. Da hätte man gern mehr erfahren." 

Und außerdem:
  • Die Uni Tübingen habe eine "Zivilklausel", so dass militärische Forschung nicht möglich sei.
  • Wohnungsnot in Tübingen gebe es so und so, mit und ohne Cyber-Valley, es müsse unbedingt gebaut werden.
  • Machine Learning solle das Lernen in allen Wissenschaften unterstützen, auch in den Geisteswissenschaften.
  • Ethik und Philosophie seien integrale Bestandteile der Tübinger Forschung.
  • Nicht-diskriminierende Lernverfahren sollen erforscht werden, die zudem die Privatspäre wahren.
  • Konzerne wie Amazon und Google müssten durch die Gesetzgebung reguliert werden; Verbote würden weniger bringen als eine positive Lenkung der Forschungsgelder in die gesellschaftlich gewünschte Richtung. Facebook sei "schlimmer" als Amazon.
  • Rektor Engler: Wir brauchen die Maschinen des Machine Learning, um z.B. die Menge der Daten, die in der Medizin-Forschung anfallen, analysieren zu können.
  • Rektor Engler: Die Uni werde ab 2019 eine neue Stiftungs-Professur haben:"Am neu einzurichtenden Tübingen Center for Advanced Studies (TüCAS) der Universität Tübingen wurde eine "Carl Friedrich von Weizsäcker Stiftungsprofessur" (W3) für Theorie und Geschichte der Wissenschaften mit breiter fachlicher und interdisziplinärer Ausrichtung geschaffen.
    Die Inhaberin/ der Inhaber dieser Professur soll den Bereich der Wissenschaftstheorie in Forschung und Lehre vertreten. Dabei sollen neben philosophischen auch historische, soziologische und gesellschaftliche Fragestellungen adressiert werden, die sich aus den Herausforderungen der modernen globalisierten und technisierten Welt ergeben. Erwartet wird ein möglichst breites fachliches Profil mit einer starken internationalen Ausrichtung." _________________________________

06.06.2018 Pressemeldung Bosch Gruppe
Cyber Valley: Spitzenforscher Matthias Hein übernimmt Bosch-Stiftungslehrstuhl - Universität Tübingen und Bosch
arbeiten eng zusammen
Hein forscht künftig an der Universität Tübingen im Bereich maschinelles Lernen
Bosch finanziert den Lehrstuhl mit 5,5 Millionen Euro
Bosch-Experte für künstliche Intelligenz übernimmt „Industry on Campus“-Professur in Tübingen
(https://www.bosch-presse.de/pressportal/de/de/cyber-valley-spitzenforscher-matthias-hein-uebernimmt-bosch-stiftungslehrstuhl-160576.html)

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Ja, es ist gut,
wenn Arbeitsplätze gesichert werden, wenn Deutschland ein guter Wissenschaftsstandort ist oder bleibt oder wieder wird, wenn Arbeitsplätze erhalten und geschaffen werden, wenn Krankheiten gut diagnostiziert und behandelt werden können, wenn Verbrecher auf der Straße erkannt und verhaftet werden, wenn jeder Mensch genug zu essen hat ... . -Dazu kann wissenschaftliche Forschung beitragen, wenn sie von der Gesellschaft und der Gemeinschaft kontrolliert wird, wenn auch ethisch dikutiert wird, wenn Unis vom Staat großzügig finanziell ausgestattet werden, wenn Forschung sich nicht am privaten Maximal-Profit oder an der Gier von AktieninhaberInnen orientiert ... .
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Die Besetzer

Alle Versuche, in Tübingen Transparenz und Öffentlichkeit zum Thema Cyber-Valley (Briefe, Flugblätter, Demonstrationen...) seien bisher ins Leere gelaufen. Erst die Besetzung des Hörsaals habe - kurz vor einer anstehenden Entscheidung des Gemeinderates - endlich für die nötige Aufmerksamkeit gesorgt. Uni-Rektor Engler: Die Universität akzeptiert das öffentliche Interesse und lässt nicht räumen.
  • "Nichts gegen die KI-Forschung" an sich; aber die Zivilklausel reiche - wie sich erwiesen habe - nicht aus. Siehe zum Beispiel:
      • Warum kein Amazon? Amazon verwalte die Cloud des CIA.
        Amazon werde zukünftig dafür zuständig sein, das US-Verteidigungsministerium (Pentagon) in Sachen KI fit zu machen.
      • Amazon plant, selber Pharmakonzern und Krankenversicher zu werden. 
      • Amazon sei schon jetzt zu groß, um von einem Land reguliert zu werden; es sei ja noch nicht einmal möglich, Amazon dazu zu bewegen, Steuern zu zahlen.
      • Auch die Zahnradfabrik Friedrichhafen ZF, die eine Partnerin des Tübinger Cyber-Valley ist, stelle in Zusammenarbeit Motoren für Panzer, Kriegsschiffe und -Flugzeuge her. ...

      Quelle
      • KI [Künstliche Intelligenz] sei nicht das Mittel der Wahl, um Welternährungsprobleme zu lösen. Das gesammelte Wissen, die Schwarm-Intelligenz  einer Versammlung der Kleinbauern der Welt, könne vermutlich mehr beitragen als die KI. 
      • Bei einem Rüstungs-Etat Deutschlands von 60 Mrd. Euro sollte und könne man auch Unis so gut ausstatten, dass sie nicht mehr auf private Geldgeber angewiesen sind. 
      • ... 
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      Das österreichische Nachrichtenmagazon
      "Hintergrund"

      Der These
      "besser wir forschen als die USA und China, denn: Die USA denken nur an Geld und Profit, China ist eine Diktatur, aber wir (Europa/Deutschland) haben die Freiheit der Forschung, Ethik&Philosophie, Zivilklauseln, einen Rechtsstaat, Freedom and Democracy, Gewaltenteilung ..." setzte einer der Besetzer
      die Anti-These entgegen:
      Mag sein. Aber auch: In ganz Europa gibt es einen Rechtsruck (Italien, Österreich, Ungarn, Polen ...); in Deutschland selber gibt es rechtsradikale Milieus sowohl in der Polizei als auch in der Bundeswehr; Rechtsradikale sitzen wieder in deutschen Parlamenten. Auf unsere Demokratie ist kein Verlass.
      Synthese: ... ?

      Quelle
      Siehe auch: 
      Künstliche Intelligenz und Künstliche Dummheit ?

      Nachtrag: BOSCH und Deutsche Konzerne
      Einst soll Robert Bosch (1861-1912) gesagt haben: "Lieber Geld verlieren als Vertrauen". Heute ist das anders, sagte jüngst ein Bosch-Mitarbeiter.  BOSCH hat den Autokonzernen geholfen, zu lügen und zu betrügen, wenn es um die Emissionen ihrer Diesel-Autos ging. Bosch hat betrogen, Audi hat betrogen, VW hat betrogen, Porsche hat betrogen, Daimler hat betrogen, die Deutsche Bank hat betrogen ... . - So viel zur Ethik in Deutschland. Erst kommt der Profit - und dann die Moral. Auch in Deutschland. ---